Null Punkte in einer Saison gegen Hertha BSC – das hört sich zunächst beunruhigend an. Diese Beunruhigung ist auch mancher Reaktion auf das Ergebnis vom letzten Samstag anzumerken. Da wird auf die letzte Rückrunde verwiesen und der unvermeidlich kommende Einbruch prognostiziert. Da wird auf die kommenden Gegner geschaut und plötzlich ist ein Platz in einem europäischen Wettbewerb wieder akut gefährdet. Borussenangst.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich kann der Einbruch kommen und natürlich kann es sein, dass die kommenden drei Spiele gegen Frankfurt, Wolfsburg und Bayern allesamt verloren gehen. Wahrscheinlich ist das alles aber nicht.

Doch wie sieht eine realistische Einordnung der Niederlage gegen die alte Dame von der Spree aus? Zuerst gilt da eine Hans-Meyer-Weisheit: „Je länger eine Serie andauert, desto wahrscheinlicher wird ihr Ende!“ Es war also von vornherein klar, dass Borussia Mönchengladbach die Saison nicht mit 17 Heimsiegen beenden würde – so sehr man sich das auch wünscht.

Darüber hinaus ist der Umstand zu berücksichtigen, dass keine Mannschaft – auch nicht die Bayern oder Dortmund – 34 gleichmäßig gute Spiele spielt. Die Frage ist nur, wie sich schlechte Spiele auswirken: Spielen die Bayern schlecht, gibt es Niederlagen gegen Dortmund und Gladbach und vielleicht das eine oder andere Unentschieden, spielt man kontinuierlich eher schlecht, ist vielleicht auch mal die Meisterschaft in Gefahr. Spielen Düsseldorf oder Nürnberg nicht nahe am Optimum, gibt es hohe Niederlagen und spielt man nicht kontinuierlich am absolut oberen Limit, steigt man am Ende ab. Borussia Mönchengladbach ist erfreulicherweise in dieser Bandbreite näher an Bayern als an Düsseldorf, an schlechten Tagen, die es nun mal gibt, verliert man gegen Hertha BSC, eine eher schlechte Saison endet auf Platz 9.  So gesehen stellen sich die beiden Niederlagen gegen Hertha BSC (und auch das Spiel in Freiburg) als die unvermeidlichen schlechten Tage innerhalb einer Saison dar, in der die Mannschaft ansonsten fast durchweg am oberen Ende ihres Leistungsvermögens agiert.

Interessant sind auch manche Aspekte der Ursachenforschung des virtuellen Stammtischs. Schnell wird da eine Verbindung hergestellt zwischen dem schlechten Spiel gegen Hertha und der vermeintlichen Tiefstapelei unserer Verantwortlichen, die sich beharrlich weigern, die Meisterschaft als Ziel auszugeben und zum Angriff auf Bayern und den BVB zu blasen.  Nach dem Motto: „Wenn wir vor dem Spiel gegen Hertha die Meisterschaft öffentlich als Ziel ausgegeben und so entsprechend Druck aufgebaut hätten, wäre die Mannschaft nicht so schlaff aufgetreten und hätte nicht gegen Hertha verloren!“. Da wird eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten kurzerhand zum mangelnden Ehrgeiz. Bullshit! Den Vertretern dieser Argumentationslinie sei angeraten auf die Vereine zu schauen, die in der jüngeren Vergangenheit ernsthaft versucht haben, mit Bayern München auf Augenhöhe zu kommen und das auch öffentlich gesagt haben: Dortmund hat der Größenwahn fast in die Insolvenz geführt, der VfB Stuttgart ist abgestiegen und der VfL Wolfsburg hat trotz intensivster Investitionen des Mutterkonzerns eine denkwürdige Serie von Beinahe-Abstiegen hingelegt. Keine guten Vorbilder.  Langfristig erfolgreicher werden diejenigen sein, die versuchen ihr Limit durch organisches Wachstum zu steigern. Deshalb ist der Realismus in der Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, den Max Eberl und auch Dieter Hecking an den Tag legen kein mangelnder Ehrgeiz, sondern einfach nur wohltuend. Dieser Realismus bedeutet auch nicht, dass man sich für immer und alle Zeiten von dem Gedanken verabschiedet, mit Borussia Mönchengladbach mal wieder einen Titel zu gewinnen. Man muss sich nur klarmachen, dass ein Titel für Borussia Mönchengladbach bis auf weiteres eine unwahrscheinliche Ausnahme bleiben wird. Deshalb darf man Erfolg nicht über Titel definieren, sondern daran, wie man seine Möglichkeiten ausschöpft. Das gelingt in dieser Saison bisher sehr gut. Und zuletzt noch eine platte aber zutreffende Fußballweisheit: Von lautstarken öffentlichen Ankündigungen ist noch keiner Deutscher Meister geworden (insbesondere nicht Christoph Daum mit dem 1.FC Köln).