Jeder kennt dieses Gefühl an einem Tag irgendwann zwischen Februar und April, wenn die Sonnenstrahlen auf einmal eine Intensität haben wie seit Monaten nicht, die Temperaturen (völlig anti-Eberlsch) zweistellig werden, die  Pflanzen plötzlich sprieβen, man zum ersten Mal ganz ohne Schal und Winterjacke draussen flanieren kann und man rundum ein Empfinden von Befreiung und Erleichterung verspürt. George Harrison hat dies dereinst perfekt in dem Lied “Here comes the sun” (Auftaktsong von Seite 2 auf Abbey Road) zusammengefasst. Zumindest ein bisschen hatte man diese sonnige Stimmung auch am Freitagabend beim Spiel der Borussia gegen Wolfsburg und sie bot einen willkommenen Kontrapunkt zum langen bitteren Winter, den die Borussia zuvor hinter sich hatte: 12 Punkte aus 13 Rückrundenspielen, Verletzungen, Diskussionen um den Trainer, ein immer dünnhäutiger werdender Sportdirektor, Fans, die sich mit den Spielern streiten. Seit Monaten lief es nicht nur auf dem Platz dermassen unrund bei der Borussia, dass man selbst überregional zu fragen begann „Was ist denn nur in Gladbach los?“.

Dass am Freitag endlich mal wieder gute Laune herrschte lag mit Sicherheit nicht nur daran, dass man 3 Punkte einfahren konnte, denn das war 2 Wochen vorher gegen Berlin auch gelungen und trotzdem hatte es anschlieβend Auseinandersetzungen mit unzufriedenen Fans gegeben. Es war vielmehr die Art und Weise des Sieges die den Wohlfühl-Faktor im Publikum erzeugte. Auch wenn man ein Spiel nie nur nach den Toren beurteilen sollte, so sagen diese im speziellen Fall einiges über das Spiel aus. Dass Lars Stindl beim 1:0 so frei zum Schuss kommt, liegt natürlich an den kläglichen, slapstickhaften Verteidigungsversuchen der Wolfsburger zuvor, aber wie er die Szene abschliesst, indem er den Ball ohne jedes Fackeln direkt in die kurze Ecke wuchtet war etwas, was man so lange nicht vom Kapitän der Borussia (oder irgendeinem anderen Gladbachspieler) gesehen hatte. Gerade Stindl hatte in den vergangenen Monaten oft wie die Symbolfigur für Gladbacher Probleme gewirkt. Zwar war er stets engagiert und fleissig, aber gerade seine Abschlüsse  wirkten oft wie bessere Rückgaben. Seit dem Hoffenheimspiel, indem er ja auch schon ein schönen Treffer beitragen konnte, ging es zwar leicht aufwärts, aber erst am Freitag hatte der Borussiapark den Stindl wieder, den man seit fast 3 Jahren bei den Fohlen kennt und schätzt.

Das kann man über Raffael, bei dem sich Licht und Schatten am Freitag abwechselten, nicht ganz so sagen, aber auch sein Tor zeigte eine Konsequenz im Abschluss, die lange bei der Borussia fehlte. Noch symbolkräftiger war vielleicht noch Kramers schlitzohriges Freistoβtor, das ein Chuzpe und Selbstvertrauen offenbarte, welches man der Borussia nach langen Monaten der Misere nicht zugetraut hätte. Kramers grinsendes Lausbubengesicht nach dem Treffer (für den der Schiedsrichter eigentlich einen Assist verdient hätte) sagte alles.

Auch abgesehen von den Toren war es ein gelungener Auftritt. Die Borussia kombinierte flüssig, wechselt oft die Seiten und zeigte mit den geschickt eingestreuten gelegentlichen hohen Bällen über die Wolfsburger Kette (Sternchen für Vestergaards Pass vor dem 2:0!), dass man durchaus in der Lage ist,  sich  taktisch geschickt auf den Gegner einzustellen. Natürlich darf man bei all dem nicht vergessen, dass die Wolfsburger sich in diesem Spiel erschreckend schwach präsentierten, aber Borussia hat in dieser Saison schon diverse Spiele gegen Abstiegskandidaten absolviert, ohne jemals auch nur annähend so souverän zu wirken.

„It feels like years, since it’s been here“…In der Tat ist es mehr als ein Jahr her, dass die Borussia zuletzt ein Spiel mit drei Toren Vorsprung gewinnen konnte. Beim 3:0 gegen Freiburg Anfang Februar 2017 erzielte man die Tore jedoch erst in den letzten 20 Minuten. Sucht man nach einem Spiel, dass schon zur Halbzeit entschieden war, muss man bis zum 4:1 gegen Bremen im September 2016 zurückgehen. Ein gelungenes Spiel kann natürlich nicht eine rundum vermurkste Saison wiedergutmachen und beim bisherigen Auf und Ab der Borussia 2017/18 kann man nicht ausschlieβen, dass im nächsten Spiel in Gelsenkirchen mal wieder einer jener peinlich blutleeren Auftritte folgt. Aber für die gebeutelten Anhängern der Borussia war dieses Spiel Seelenbalsam und es sei uns allen gegönnt zumindest ein Wochenende lang mal wieder einen deutlichen Sieg feiern zu dürfen.

Das eigentliche Saisonziel Europapokal bleibt auch nach diesem Sieg unwahrscheinlich, aber zumindest hat man dem Traditionsduell auf Schalke nochmal etwas Bedeutung gegeben, denn rein theorethisch könnte man schon mit einem Sieg in der Veltins-Arena auf den 7. Platz vorstoβen, sollte die Frankfurter Eintracht zum Beispiel zur gleichen Zeit in München untergehen. Ironischerweise ist die Eintracht als das Team, welches Gladbach am ehesten noch einholen kann, auch genau die Mannschaft, die diesen 7. Platz mit einem Sieg im Pokalfinale bedeutungslos machen könnte. Für die Borussia wäre es sowieso ratsam jetzt nicht gleich wieder mit Tabellenspielereien zu beginnen, sondern sich erstmal darauf zu konzentrieren, die Leistung vom Wolfsburgspiel auch gegen weniger indisponierte Gegner zu bestätigen. Nach Max Eberls in der Pressekonferenz vor dem Spiel zwar leicht gepresstem aber deutlichem „Ja“ auf die Frage, ob Dieter Hecking seinen Vertrag bis 2019 bei der Borussia erfüllen würde, wäre es angesichts der Hecking-kritischen Haltung weiter Teile des Fanlagers schon wünschenswert, dass die Borussia die Saison positiv beenden kann.

George Harrison hatte seinen optimistischen Frühlingsong geschrieben, nach dem die Beatles sich einen Winter lang mit den Aufnahmen zu „Let it be“ in etwa so herumgequält hatten wie die Borussia es fussballerisch in den letzten Monaten tat. Der Song und die gelungene Abbey Road-LP sollten jedoch nur noch ein kurzes Aufflackern der Beatles-Magie bedeuten, kurz darauf löste man sich auf. Bleibt zu hoffen, dass der befriedigende Sieg gegen Wolfsburg nicht eine ähnliche kurze Momentaufnahme für die Borussia bleibt.