Warnung
  • JUser: :_load: Fehler beim Laden des Benutzers mit der ID: 83

Sein Lächeln wirkt hilflos. So, als würde sein Verstand noch nicht akzeptieren wollen, was seine Augen kurz zuvor gesehen haben. Höflich beantwortet er die Fragen des Reporters direkt nach dem Spiel. Doch man muss kein guter Beobachter sein, um zu sehen, dass es in Lucien Favre brodelt. Es sei jetzt alles noch schwerer und man müsse sich in den letzten sieben Spielen professionell verhalten. Zuversicht klingt anders. Mitleid möchte man mit dem Trainer von Borussia Mönchengladbach empfinden, wenn er einen Scherbenhaufen erklären muss, den er nicht fabriziert hat. Bis zu diesem Spiel schien der Klassenerhalt möglich. Doch 90 Minuten später hat sich Ernüchterung breit gemacht.
 

Sicherlich kann man kritisieren, dass der Abstieg noch nicht besiegelt ist. Fünf Punkte erscheinen immer noch im Bereich des Möglichen. Oder wie man am Niederrhein sagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. 1998 war die Situation sogar deutlich hoffnungsloser, als man schließlich in einem unfassbaren Finish mit Siegen gegen Rostock und Wolfsburg grade noch Karlsruhe in die zweite Liga drückte. Doch wer realistisch ist, weiß, dass man am Borussenpark, alle gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, nicht mehr an den Erfolg glaubt. Fassungslosigkeit, Entsetzen und Resignation in den Gesichtern von Spielern und Fans sprechen eine deutliche Sprache. Lucien Favre macht dabei mehr schlecht als recht gute Miene zum bösen Spiel, wenn er auf noch 21 zu vergebene Punkte verweist. Doch man merkt, dass die bittere Niederlage gegen Kaiserslautern auch bei ihm Spuren hinterlassen hat. Der Glaube an ein Wunder ist am Freitag selbst bei den größten Zweckoptimisten tief erschüttert worden. Allerdings ist der Glaube an sich selbst im Sport entscheidend für Erfolg und Misserfolg. Borussia Mönchengladbach taumelt 2011 seinem dritten Abstieg entgegen.

 

Es ist die Ratlosigkeit, welche alle um den Borussenpark herum zu lähmen scheint. Die Fassungslosigkeit über einen Abstieg, den niemand wirklich auf der Rechnung hatte. Und genau aus diesem Grund wirken die meisten Erklärungsversuche hilflos. Sicherlich gibt es auch in dieser Situation diejenigen, die alles bereits gestern gewusst haben. Die das Desaster kommen sahen, sich aber aus verschiedenen Gründen nicht äußerten. Und natürlich werden nun viele Gründe genannt, wie es zu der Katastrophe (und eine solche ist es aus Gladbacher Sicht) kommen konnte. Schlaue Zeitgenossen mit messerscharfen Diagnosen fehlen in Krisenzeit bekanntlich nie. Doch schon die teilweise hitzig geführte Diskussion um die Gründe an sich zeigt, dass es den einen Grund für die Misere offensichtlich nicht gibt. Vielmehr scheinen mehrere Dinge ineinander zugreifen. Doch wie sind sie verzahnt? Dies zu beantworten fällt selbst regelmäßigen Beobachtern schwer. Zudem versuchen mehrere Protagonisten aus Boulevard und Vereinsopposition aus dem Dilemma Abstieg Nutzen zu ziehen. Zu den Fakten kommen nun auch noch Behauptungen und Phantasiegebilde, was eine Bewertung kompliziert macht. Um Ordnung in das Chaos zu bringen, hilft manchmal der Blick in die Vergangenheit. Eine chronologische Aufarbeitung des Desasters:

 

Saisonbeginn: Optimismus prägt das Umfeld bei der Borussia. Allen Unkenrufen zum Trotz hat Michael Frontzeck eine mehr als ordentliche Saison hingelegt. Sicherlich war nicht alles perfekt, doch das war auch nicht zu erwarten. Erstmals seit Jahren hatte die Borussia nichts mit dem Abstieg zu tun. Die erreichte man zudem mit attraktivem Offensivfußball. Vielleicht wäre sogar mehr möglich gewesen, wenn sich der Sturm treffsicherer gezeigt hätte. Doch genau hier hat die Borussia nachgerüstet. Für die in der Bundesliga überfordert wirkenden Friend und Colautti wurden de Camargo und Idrissou verpflichtet. Während der Belgier verletzt ausfällt, zeigt sich der Kameruner in der Vorbereitung treffsicher. Rainer Holzschuh sieht Gladbach als Überraschungsmannschaft. Er meint das allerdings positiv.

 

Der Start: Nach mäßigem Auftakt gegen Nürnberg wird Leverkusen auf eigenem Platz gedemütigt. Viel fehlte nicht zur höchsten Heimniederlage in der Bundesligageschichte der Werkself. Die Stimmung ist euphorisch, die Bild berichtet von den neuen Fohlen. Das Logan Bailly beim dritten Gegentor ein großer Patzer verlief wird am Rand wahrgenommen. Bereits zwei Wochen später dreht sich bereits das Bild. Gegen Frankfurt verliert man auf eigenem Platz 0:4. Wieder gab der Gladbacher Keeper keine gute Figur ab. Für mehr Aufregung sorgt aber Schiedsrichter Dr. Drees, als er Idrissous Ausgleichstreffer fälschlicherweise nicht anerkennt. Erste Theorien über Schiedsrichterbenachteiligungen machen sich breit. Die Euphorie nach dem 6:3 in Leverkusen hat einen Dämpfer erhalten, die Mannschaft gelobt aber Besserung für diesen „Ausrutscher“. Eine Woche später wird man in Stuttgart mit 0:7 die höchste Niederlage der langen eigenen Bundesligageschichte kassieren.

 

Der Sinkflug: Das Verletzungspech hat Mönchengladbach im Griff. Nach Dante fällt mit Brouwers der zweite Innenverteidiger erst mit Rot und dann verletzt aus. Zudem präsentiert sich Gladbachs Schlussmann Bailly immer mehr als Unsicherheitsfaktor. Gegen Bremen ist es dann schließlich soweit. Nachdem der Belgier wiederholt zwei harmlose Schüsse passieren ließ, wird er vom eigenen Publikum verhöhnt. Michael Frontzeck zieht die Reißleine und erklärt Heimeroth zur neuen Nummer eins. Auch um Bailly zu schützen. Heimeroth kann trotz eines ordentlichen Debüts die folgende 0:3-Klatsche in Kaiserslautern nicht verhindern. Für Michael Frontzeck ist die Niederlage „ein Witz“. Für kritischere Beobachter verdient.

 

Die Absturz: Keine Frage, der Stuhl von Michael Frontzeck wackelt bedenklich zur Halbzeit gegen den FC Bayern. Mit einer völlig indiskutablen Leistung liegt man 1:2 hinten – glücklich. Da zeigt die Borussia zur zweiten Halbzeit ihr anderes Gesicht und überrennt die Bayern förmlich. Am Ende kann der Rekordmeister mit einem glücklichen 3:3 den Platz verlassen. Eine Woche später wird Köln im eigenen Stadion mit 0:4 gedemütigt. Der Sieg wird allerdings teuer erkauft. Brouwers und Dante verletzen sich jeweils. Wie schwer dies wiegt wird in den kommenden Spielen deutlich. Bis zur Winterpause verliert man alle fünf Spiele. Michael Frontzeck findet kein Rezept gegen die Defensivschwäche und hält stoisch an seinem Konzept fest – obwohl offensichtlich wird, dass Teile seines Personals überfordert sind. Stattdessen wird das Verletzungspech als Ausrede vorgeschoben. Der Rauswurf des Trainers wird von (fast) allen Seiten vehement gefordert. In der Phase macht Max Eberl den Fehler, sein Schicksal mit Frontzecks zu verknüpfen. Statt zur Winterpause einen Schnitt zu machen, will man die Krise mit dem Gladbacher Urgestein überstehen.

 

Die Achterbahn: Mit einem glücklichen 1:0 in Nürnberg startet die Borussia aus der Winterpause. Zwei Wochen später folgt ein verdienter Sieg in Frankfurt. Nun steht das Abstiegsduell gegen Stuttgart an. Zur Halbzeit hat man die Schwaben an die Wand gespielt und führt 2:0. Als allerdings der Anschluss fällt, verkrampft das Team sichtlich. Statt Anfeuerung erntet die Mannschaft zudem Pfiffe vom eigenen Publikum. Völlig verunsichert gibt man ein gewonnenes Spiel schließlich mit 2:3 ab. Borussias Fans sind zu diesem Zeitpunkt bereits in der Zweitklassigkeit angekommen. Eine Woche später startet man im nächsten Abstiegsduell in St. Pauli gut und führt schnell 1:0. Nach einer unsportlichen Showeinlage von Lehmann, erhält de Camargo die rote Karte. Es ist bereits der siebte Platzverweis der Saison. Die Fohlen resignieren daraufhin und verlieren ohne Gegenwehr 1:3.

 

Die Hoffnung(slosigkeit): Das Präsidium reagiert und entlässt Frontzeck. Zur allgemeinen Überraschung kann man schnell einen gestandenen Trainer präsentieren. Allerdings ist Lucien Favre alles andere als ein Feuerwehrmann. Dennoch verläuft sein Debüt vielversprechend. Gegen Schalke gelingt mit Bailly im Tor der erste Heimsieg. Hoffnung keimt auf. Doch bereits gegen Wolfsburg verfällt die Mannschaft in den alten Trott und traut sich zu wenig zu. Ein glänzender Diego reicht an diesem Abend. Favre stellt um. Gegen indisponierte Hoffenheimer gelingt der zweite Heimsieg, in Bremen wird man jedoch wieder ohne Selbstvertrauen an die Wand gespielt. Wenigstens gelingt in der Nachspielzeit der Ausgleich. Die Hoffnung ist groß vor dem Heimspiel gegen Kaiserslautern. Die erste halbe Stunde scheint Borussia den Gegner nach Belieben zu kontrollieren. Dann kommt es zum Bruch, die Mannschaft verliert gegen ebenfalls verunsicherte Pfälzer den Faden. Als Bailly einen leichten Ball unbedrängt ins eigene Tor boxt ist es mit dem Selbstvertrauen endgültig vorbei. Resignation macht sich breit. Von den Rängen kommt ebenfalls keine Reaktion. Spieler und Fans haben den Glauben an sich selbst verloren. Der erste Absteiger scheint festzustehen.