Die Nachricht, dass Young Boys Bern zunächst dafür sorgte, Borussia bei der Auslosung zu den Champions League-Playoffs Setzstatus zu verschaffen und ihr anschließend sogar noch zugelost wurde, sorgte in den letzten Tagen für viel Euphorie rund um den Borussia-Park. 10 Tage vor dem Hinspiel der Play-Offs im Berner Wankdorfstadion stellt sich aber die Frage, ob der Jubel über das vermeintliche Glückslos berechtigt ist oder gefährliche Arroganz darstellt. Ohne Frage wird Borussia als Favorit in die beiden Partien am 16. und 24. August (jeweils ab 20.45 Uhr live im ZDF) gehen. Es gibt aber gute Gründe, um den Gegner als ernsthafte Hürde auf dem Weg in die Champions League Gruppenphase anzusehen. Mehrfach hatten die Gladbach-Fans in der jüngeren Vergangenheit allzu verfrüht über eine glückliche Auslosung im DFB-Pokal jubiliert. So war es im Vorjahr im Achtelfinale, als Werder Bremen als höchst machbar eingestuft wurde. Oder noch mehr im Viertelfinale der vorherigen Spielzeit, in der sich sogar der damalige Drittligist Arminia Bielefeld als höchst unbequem herausstellte.

Vereinshistorie

Die besten Zeiten der Berner liegen schon weit zurück. Die letzte von 11 Schweizer Meisterschaften wurde 1986 eingefahren. Nicht nur wegen der Vereinsfarben erinnert der Verein derzeit an den BVB. Gegen den Rekordmeister FCB ist man chancenlos, distanzierte zuletzt aber als Vizemeister die nachfolgenden Klubs um 15 Zähler. Ähnlich gestaltete sich die vorherige Saison 2014/15, so dass Bern derzeit die zweite Kraft im Schweizer Fußball darstellt und deutlich stärker einzuschätzen ist als der FC Zürich.

Europapokal-Historie

Die Schweizer nahmen bislang dreimal an der Gruppenphase zur Europa League teil. Zuletzt war dies 2015 der Fall, als sie ihre Heimstärke unterstrichen und sich mit deutlichen Siegen in Wankdorf über Slovan Bratislava (5:0), Sparta Prag und SSC Neapel (je 2:0) für die Runde der letzten 32 qualifizierten. Dort scheiterten sie aber deutlich am FC Everton (1:4, 1:3). Seit 1988 kam der Verein nicht ein einziges Mal über die Zwischenrunde eines internationalen Wettbewerbs hinaus. Für die Champions League-Gruppenphase haben sie sich bislang noch nie qualifiziert. Von daher ist der Sieg über Donezk schon eines der Highlights in der jüngeren Vereinsgeschichte. In der letzten Saison gab es weniger Grund zum Jubeln, da der BSC in der Qualifikation zur Champions und Europa League nacheinander mit insgesamt vier Niederlagen gegen AS Monaco und Qarabag Agdem chancenlos blieb.

Das letzte Aufeinandertreffen mit einem deutschen Verein gab es 2011, als der VfB Stuttgart in der Europa League daheim 4:2 geschlagen wurde und man im Schwabenland mit 0:3 verlor. Auch die früheren Auftritte gegen deutsche Teams blieben weitgehend erfolglos. In den 1950er bis 1970er Jahren schied Bern gegen Frankfurt und zweimal gegen den HSV aus. Einzig Wismut Karl-Marx-Stadt konnte 1959 ausgeschaltet werden. Borussia wird das erste Mal mit den Young Boys kollidieren. Überhaupt gab es in der Gladbacher Vereinshistorie erst zwei Spiele gegen Schweizer Teams, an die sich die meisten noch gut erinnern werden. 2014 wurde der FC Zürich im Borussia-Park mit 3:0 besiegt, nachdem es in der Schweiz zu einem 1:1 gereicht hatte.

Das Stadion

Das altehrwürdige Wankdorfstadion wurde 2001 abgerissen und bis 2005 durch einen Neubau ersetzt, der nun offiziell als „Stade de Suisse Wankdorf“ geführt wird. Knapp 32.000 Zuschauer finden dort Platz, was aber nicht immer vollständig ausgenutzt wird. Die Sensation gegen Donezk erlebten z. B. nur 9.365 Zuschauer mit. Gegen Gladbach ist aber mit einem ausverkauften Haus zu rechnen, was nicht zuletzt an den reiselustigen Gladbach-Fans liegen wird. Momentan verhandelt Borussia darüber, mehr als die international üblichen 5 % des Fankontingents zu bekommen. Die offiziell vorgesehenen rund 1.600 Karten werden kaum ausreichen, um die Nachfrage decken zu können.

Eine Besonderheit des neuen Wankdorf-Stadions ist der Kunstrasen, der für ein besonders schnelles Spiel sorgt. Gute Techniker, die schnelles genaues Kurzpassspiel pflegen, sollten hier im Vorteil sein, was Borussia evtl. sogar entgegenkommen könnte. Andererseits haben die Berner den Erfahrungsvorteil. Ist man das Spiel auf diesem Geläuf nicht gewohnt, so kann es besonders psychologisch hemmen. Denn Kunstrasen steht immer noch im Ruf, die Verletzungsgefahr zu erhöhen, was von offiziellen Studien aber in Frage gestellt wird.

Die bisherige Saison

Während das Hinspiel am 16. August in Bern für Borussia das erste Pflichtspiel dieser Saison sein wird, steht für die Schweizer dann bereits das 7. Pflichtspiel an. Diese finden innerhalb von 3 ½ Wochen statt, so dass sich der Verein in der vierten englischen Woche in Folge befinden wird. Der Kräfteverschleiß war bereits gegen Donezk sichtbar. Die große Chance auf die Sensation verlieh den Bernern aber Flügel, was sich bei positivem Verlauf in den Spielen gegen Borussia wiederholen könnte.

Die bisherigen Ergebnisse dieser Saison waren wechselhaft. In Donezk war die Mannschaft hoffnungslos unterlegen und hätte weit höher als nur 0:2 verlieren müssen. Auch im Rückspiel bestimmten die Ukrainer in der 1. Halbzeit zunächst das Geschehen und hatten die besseren Chancen. Nach dem Seitenwechsel drehte der BSC aber auf und egalisierte den Rückstand aus dem Hinspiel innerhalb weniger Minuten durch einen Doppelschlag von Yuya Kubo.

In die Liga startete Bern mit einem souveränen 2:0 beim FC St. Gallen. Danach folgte ein peinliches 1:2 gegen Lugano, ein souveräner 4:1-Erfolg über den FC Thun und zuletzt ein in der Höhe unglückliches 0:3 beim FC Basel. Bis zur 55. Minute hatten die Berner den Meister gut im Griff und sogar die besseren Chancen. Danach führten Nachlässigkeiten in der Berner Defensive verbunden mit beeindruckender Basler Effizienz zum letztlich deutlichen Sieg, durch den der Abstand zur Tabellenspitze bereits nach 4 Spieltagen auf 6 Punkte und 10 Tore angewachsen ist. Die letzte "Generalprobe" gab es im Pokal, wo der sechstklassigen SC Veltheim mit 6:0 bezwungen wurde. Wie erwartet wurden einige Stammspieler aber geschont, so dass sich die Mannschaft faktisch 6 Tage auf das erste Match gegen Borussia vorbereiten kann. Die beiden Kontrahenten begegneten sich bekanntlich bereits im Juli im Rahmen des Uhrencups, wo Borussia erst kurz vor Schluss der 3:3-Ausgleich gelang, der ihnen den Sieg im Elfmeterschießen ermöglichte.

Der Trainer und sein System

Der Österreicher Adolf „Adi“ Hütter kam 2015 von Red Bull Salzburg, wo er einst Roger Schmidt beerbte, dann aber mit der Rolle als Leipziger Farmteam zunehmend unzufrieden war. In der Schweiz wird er als sachlicher Analytiker geschätzt, der es versteht, junge Spieler gezielt zu fördern. Sein bevorzugtes System ist das 4-4-2, wenngleich er zuletzt in Basel aufgrund diverser Verletzungen notgedrungen ein 3-4-3 testete. Dabei fordert er von seinen Jungs konsequentes Pressing verbunden mit einem schnellen Umschaltspiel ein. Es ist daher damit zu rechnen, dass Borussia schon in Bern über größere Spiel- und Ballbesitzanteile verfügen kann. Werden diese aber nicht effizient genutzt, so ist mit gefährlichen Kontern zu rechnen. Dies kann ebenso für das Spiel im Borussia-Park gelten, wenngleich die Berner klassisch als eher heimstark gelten und in der Fremde bisweilen hohe Niederlagen einstecken müssen.

Neuerungen

Viel verändert hat der Verein in diesem Sommer nicht, so dass der Coach auf eine eingespielte Mannschaft setzen kann. Nennenswerte Zu- und Abgänge gab es keine. In der Offensive stellte man sich etwas stärker in der Breite auf. Rechtsaußen Thorsten Schick kam ablösefrei aus Graz, war bislang aber verletzt. Der 21jährige Michael Frey wechselte für 500.000 € aus Lille und ist bislang nur als Ergänzung vorgesehen. Nachdem die Teilnahme an der Europa League Gruppenphase und damit eine Zusatzeinnahme von rund 8 Mio. € nun gesichert sind, ist mit einem weiteren Transfer im August zu rechnen. Vermutlich wird versucht, die offensiven Außenbahnen noch einmal zu verstärken.

Ausfälle

Stand heute werden mindestens vier Akteure nicht zur Verfügung stehen. Am meisten schmerzt dabei der Ausfall von Stürmer Alexander Gerndt, der sich im Vorjahr für 12 Tore verantwortlich zeichnete und auch zum Saisonstart gegen St. Gallen doppelt traf. Im defensiven Mittelfeld wird einer der besten Akteure den Bernern in beiden Play-Off-Spielen fehlen. Sekou Sanogo wäre im vergangenen Winter beinahe beim HSV gelandet – wenn nicht die Frist zur Einreichung der Transferunterlagen wegen einer verspäteten E-Mail verpasst worden wäre. Vorigen Monat spielte der Ivorer beim VfB Stuttgart vor. Auch dieser Transfer ließ sich aber nicht realisieren – sehr zum Glück für die Schweizer, da der lauf- und zweikampfstarke 6er gegen Donezk eine Topleistung ablieferte. Diese wird er aufgrund einer Oberschenkelverletzung gegen Gladbach nicht wiederholen können. Der in dieser Woche nach Ingolstadt transferierte Florent Hadergjonaj wurde durch eine Rückholaktion des bislang ausgeliehenen Sven Joss ersetzt. Kleiner Haken: Im Spiel der Thuner gegen Bern am vergangenen Wochenende verletzte sich Voss ausgerechnet im Zweikampf mit Hadergjonaj an der Schulter, so dass er ebenfalls in den nächsten Wochen nicht zur Verfügung stehen wird. Bessere Chancen bestehen hingegen bei Jungstar Denis Zakaria im defensiven Mittelfeld, der bislang in dieser Saison mit einer Knöchlelverletzung ausgefallen war und im Pokal immerhin 25 Minuten durchhielt. Ob er am Dienstag bereits ein Kandidat für die Startelf ist wird sich kurzfristig entscheiden. Die Verletzung von Linksverteidiger Loris Benito sollte gleichwertig kompensiert werden können. Grundsätzlich ist der Kader aber in der Breite eher dünn aufgestellt, so dass weitere Ausfälle bitter wären.

Defensive

Im Tor ist der 22jährige Yvon Mvogo gesetzt. Der gebürtige Kameruner spielt für die Schweizer U21 und ist ein weiteres Beispiel für die überragende Torwartschule des Landes. Aufgrund seiner ruhigen, sachlichen Ausstrahlung und seiner guten Technik ist er ein moderner mitspielender Keeper, der über kurz oder lang in einer größeren Liga sein Können wird unter Beweis stellen dürfen.

Vor ihm steht eine Viererkette, die nicht unbedingt allerhöchsten Ansprüchen genügt. Ihr Chef ist ein alter Bekannter aus der Bundesliga. Der inzwischen 33jährige Steve van Bergen kann auf 50 Länderspiele für die Schweiz und auf über 400 Partien in den höchsten Ligen der Schweiz, Italiens und Deutschlands zurückblicken. 2007 wechselte er gemeinsam mit Lucien Favre vom FC Zürich zur Hertha, wo er bis zum Abstieg 2010 blieb. Favre äußerte sich einst mit großer Wertschätzung über den umsichtigen Führungsspieler: „Er ist taktisch sehr, sehr gut. Er ist schnell, beidfüßig, und im Spielaufbau ist er auch gut.“

Ihm zur Seite steht entweder der ebenfalls erfahrene Serbe Milan Vilotic oder das 21jährige Talent Gregory Wüthrich, dessen Karriere zuletzt durch eine Knieverletzung etwas ausgebremst wurde. In dieser Saison ist ihm aber der Durchbruch zum Stammspieler zuzutrauen.

Während die Innenverteidigung noch halbwegs brauchbar aufgestellt zu sein scheint, liegen die größeren Schwächen auf der Außenbahn. Links ist der Tscheche Jan Lecjaks meist erste Wahl, der vom talentierten Linus Obexer auf überschaubarem Niveau herausgefordert wird. Rechts wird notgedrungen Scott Sutter auflaufen müssen, da Hadergjonaj nach Ingolstadt gewechselt und sein Nachfolger Joss verletzt ist.

Denis Zakaria war der Shooting-Star der letzten Saison und stand mit 19 bereits im Schweizer-EM-Kader, wo er aufgrund der mit Behrami und Xhaka starken Konkurrenz ohne Einsatz blieb. Sein Einsatz wäre nach dem Ausfall von Sanogo auf der 6er-Position umso wichtiger. An Zakarias Seite wird Leonardo Bertone in der Startelf erwartet – ein 22jähriger, der seit zwei Jahren überwiegend zum Stamm gehört und sich im zentralen Mittelfeld u. a. gegen den Serben Milan Gajic behaupten muss.

Offensive

Für das Offensivspiel des BSC ist Miralem Sülejmani der bedeutendste Mann. Der 20fache serbische Nationalspieler ist auf der linken Außenbahn unterwegs, wo er gegen Donezk beide Treffer vorbereitete. Vor einigen Jahren sorgte er international für Aufsehen, da er für 16,25 Mio. € zu Ajax Amsterdam wechselte und dort nach gutem Start von zahlreichen europäischen Topklubs umworben wurde. 2012 soll sogar Borussia sein Interesse hinterlegt haben. Der ganz große Durchbruch blieb Sülejmani letztlich aber versagt. Seit 2015 gehört er in Bern zu den Leistungsträgern und trug im Vorjahr mit 8 Toren zum Saisonergebnis bei. In der Eredivisie hatte er 43 Treffer in 137 Partien markiert, so dass er auch als potentieller Torschütze zu beachten ist. Für die rechte Offensivseite steht mit Yoric Ravet ein polyvalenter Franzose zur Verfügung, dem aber die Klasse seines Gegenübers fehlt.

Der Altstar des Teams ist Torjäger Guillaume Hoarau. Der 32jährige Franzose läuft mit der Rückennummer 99 auf und kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken. Von 2008 an spielte er fünf Jahre für Paris St. Germain, ehe er dort 2013 den gestiegenen Ansprüchen zum Opfer fiel und für 1 Jahr nach China wechselte. Über den Umweg Bordeaux kam er 2014 nach Bern, wo er seitdem zu den besten Angreifern der Schweizer Liga gehört. Gegen Thun reichte ihm eine knappe Viertelstunde Einsatzzeit, um die Partie mit zwei späten Treffern zu entscheiden. Auch wenn der 5fache französische Nationalstürmer seine beste Zeit lange hinter sich hat – sein letztes Länderspiel datiert aus 2011 – ist er gerade durch seine Erfahrung, seine Kopfballstärke und seinen Torriecher zu beachten. Im letzten Jahr erzielte er 18 Ligatore in 22 Spielen. International kann er auf 15 Treffer in 35 Europapokaleinsätzen verweisen.

Ihm zur Seite steht Yuya Kubo, der eigentlich für die japanische Olympiamannschaft fest eingeplant war. Seine Teilnahme wurde ihm erst durch die Verletzung von Gerndt verweigert, was seine Galavorstellung gegen Donezk ermöglichte. Seine beiden Tore dort sind alles andere als selbstverständlich, denn der wendige Halbstürmer glänzt oft mehr als Vorlagengeber. Im Vorjahr konnte er in 29 Spielen 9 Tore markieren.

Fazit

Gerade zuhause auf dem für Borussia ungewohnten Kunstrasen werden die Young Boys zu beachten sein. Mit ihrem Pressing und guten Umschaltspiel sind sie unbequem zu spielen. Gerade weil zu erwarten ist, dass bei der umformierten Borussia im ersten Pflichtspiel nicht gleich alles rund laufen wird und die Schweizer bereits im Spielrhythmus sind. Mit Sülejmani, Kubo und Hoarau verfügt Bern über einige Offensivakteure, die an einem guten Tag auch Borussia vor Probleme stellen können. Andererseits sollten die Schwächen in der Defensive schwer genug wiegen, dass Borussias starke Offensive zu einigen guten Torchancen kommen sollte. Dies umso mehr im Heimspiel im Borussia-Park, wo ggf. auch eine (knappe) Hinspiel-Niederlage wettzumachen sein sollte.

Ein Verein, dem es gelungen ist, Shakthar Donezk auszuschalten und über eine eingespielte, homogene Mannschaft verfügt, darf in keinem Fall unterschätzt werden. Vom Niveau verkörpert Bern zwar „nur“ unteren Bundesliga-Durchschnitt und ist somit sportlich nicht wirklich „auf Augenhöhe“ mit dem Tabellen-Vierten aus Deutschland, wie Max Eberl in der ihm eigenen Bescheidenheit äußerte. Die wankelmütigen Leistungen von Borussia in der letzten Saison, wo es in den schlechten Phasen gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte einige bittere Niederlagen gab, sollten aber Warnung genug sein, um die Schweizer ernst zu nehmen.