Schalke gegen Gladbach, vielleicht nicht DER aber sicher EIN Bundesligaklassiker. In Gelsenkirchen habe ich dieses Spiel exakt zweimal verfolgen dürfen und zwar beide Male im Jahre 1977 mit zarten 11 Jahren. Am 16.04. 1977 hatte mein Vater nur für sich einen Tribünenplatz ergattert, mein Bruder und ich hatten das Vergnügen, das Spiel von der Schalker Fankurve aus verfolgen zu dürfen. Meine gröβte Angst war, den Torschrei nicht unterdrücken zu können, wenn die Borussia ihre Tore macht und dass ich dann vom halbstarken Schalke-Mob gelyncht werden würde. Die Angst war unberechtigt, denn Borussia schoss gar kein Tor, sondern verlor nach einem frühen Tor des Flankengotts Abramczik knapp mit 0:1, wodurch die Meisterschaft bis zum letzten Spieltag spannend blieb.

Knapp ein halbes Jahr waren wir wieder im Parkstadion; diesmal hatten “Geschäftsfreunde” meines Vaters, die sich beim mehrstündigen Kneipenbesuch vor Beginn dann eher als Trinkkumpanen herausstellten (laut meinem Vater war das in den 70er Jahren in etwa das selbe), mit einem cleveren Trick ihre (natürlich nicht personifizierten) Dauerkarten aus dem Stadion geschmuggelt, dann rückten alle auf der langen Sitzbank etwas zusammen und schwuppdiwupp war Platz für die Ehrengäste aus dem Siegerland. Unsere Gastgeber verlieβen aus verkehrstechnischen Gründen kurz vor Schluss das Stadion und müssen gerade drauβen gewesen sein, als sie den Riesenjubel der Gladbach-Fans über Heynckes Siegtreffer zum 2:1 in der 88. Minute hörten.

Lang lang ist’s her, doch es bleiben prägende Kindheitserinnerungen. Zwischendurch waren beide Teams zweifach in der 2. Liga, berappelten sich dann und sind heute Konkurrenten um lukrative CL/EL-Plätze, was dieses Spiel am vergangenen Freitag besonders wichtig machte. Insofern konnte man eine intensive spannende Partie erwarten. Was man nicht unbedingt erwarten konnte war, dass ausgerechnet das sonst nicht so für kulturelle Höhepunkte bekannte Gelsenkirchen Zeuge eines absurd/surrealen Theaters werden sollte, das es mit den Meisterwerken von Beckett oder Ionesco aufnehmen kann. Feuilletonisten könnten sicher Seiten füllen über die Symbolkraft, die das Scheitern des schönen Spiels inne hat, würden Camus “Mythos des Sisyphos” anführen und sich darüber begeistern, wie diese 90 Minuten ein Sinnbild der Absurdität des modernen Lebens seien. Dummerweise sind wir hier aber nicht im Feuilleton, und das was da auf Schalke stattfand, war kein Theaterstück sondern ein Fussballspiel, dessen Ausgang durchaus gravierende negative Folgen für die Ambitionen der Borussia haben könnte.

Dabei fing es zunächst relativ normal an. Schalke begann durchaus engagiert mit Drang nach vorne, aber die Borussen-Defensive wirkte an diesem Abend sehr konzentriert und ließ keine wirklichen Chancen zu. Die Borussia konterte zunächst eher und deutete dabei ihre Torgefährlichkeit an. In der Frühphase war es vor allem Hazard, der gleich zweimal eindrucksvoll bewies, warum manche ihn “Mr. Chancentod” nennen. Hazard war es auch, der in der 11. Minute von Kolasinac im Strafraum leicht geschubst wurde, ohne dafür einen Elfmeter zu erhalten, den so mancher Schiedsrichter gegeben hätte. Marco Fritz leider nicht. Die Überlegenheit Borussias wurde im Laufe der ersten Halbzeit immer gröβer, es wurde flüssig gegen hilflos wirkende Schalker kombiniert, nur der Führungstreffer wollte nicht fallen. Um meine Nerven und die der Leser zu schonen, erspare ich mir die Aufzählung der zahlreichen verpassten Gladbacher Chancen; als der Halbzeitpfiff ertönte, wusste auf jeden Fall keiner im Stadion warum die Borussia nicht in Führung lag.

Nach Halbzeitbeginn änderte sich wenig: es spielte nur die Borussia, vergab aber weiterhin selbst durch die sonst so torsicheren Raffael und Stindl beste Möglichkeiten. Wie jedes gute Drama steigerte sich dieses dann noch nach ca 2/3 der Spielzeit. Nordtveit verlor leichtsinnig den Ball im Mittelfeld, Christiansen war nicht abgezockt genug um Sané im Sprintduell vom Ball zu trennen oder abzudrängen. Alles eigentlich kein Problem, weil Sané aus spitzen Winkel weder eine gute Schussposition hatte noch einen MItspieler in der MItte den er direkt hätte bedienen können. Trotzdem passte er den Ball auf gut Glück in die Mitte, wo ihn dann Hinteregger und Nordtveit in einer Laurel und Hardy würdigen Szene ins eigene Tor manövrierten: die komplett überlegene Borussia lag auf einmal hinten! Anders als in Becketts Klassiker, in dem Vladimir und Estragon während des gesamten Stückes vergeblich auf Godot warten, kam die Fohlenelf allerdings 11 Minuten vor Schluss doch noch zu einem Tor, das Christensen nach feiner Kombination erzielte. Wie es sich für eine absurde Tragikkomödie gehört, wurde die aufkeimende Hoffung auf ein mögliches Happy End jedoch wenige Minuten später durch einen abgefälschten Schuss Goretzkas zerstört. Ohne eine wirkliche Torchance in der zweiten Halbzeit gelangen den Schalkern 2 Tore und man kann vermuten, dass die Sieger bei Abpfiff selbst nicht wussten, warum und wie sie dieses Spiel nun gewonnen hatten.

Wenn ich junge Menschen (in meiner Branche typischerweise Studenten) betreue, ist eines der ersten Dinge die ich ihnen beibringe, sich bei jedem Projekt frühzeitig einen Sündenbock auszusuchen für den Fall, dass es daneben geht. Fußballfans muss man das gar nicht erst sagen. Wie die Reaktionen in sozialen Netzwerken kurz nach Abpfiff zeigen, haben sie meist ruckzuck einen Schuldigen gefunden: manchmal ist es der Schiedsrichter, manchmal der Trainer oder ein spezieller Spieler, zur Not auch der Fernsehkommentator, Hauptsache der Frust hat ein Objekt, an dem er sich abreagieren kann. Das gestrige Spiel jedoch führt bei vielen Borussia-Fans zu arger Verwirrung, weil sie partout keinen Sündenbock finden können.

Na klar, die Chancenauswertung war es, aber was heisst das genau? Dass Hazard vermutlich nie ein Torjäger werden wird, weiß er vermutlich auch selbst (er hat andere Qualitäten), aber auch Raffael und Stindl, die in dieser Saison oft sehr cool vorm Tor waren, vergaben beste Chancen. Überhaupt, bei einer Mannschaft, die im Durchschnitt 2 Tore pro Spiel erzielt, kann die Chancenverwertung nicht das Kernproblem sein.

War es der Trainer? Die Abwehr hatte diesmal das meiste im Griff, was bei den talentierten Jungspunden um Sané und Meyer nicht selbstredend ist. Die Mannschaft kombinierte wie aus einem Guss, die Stürmer rochierten geschickt. Man kann evtl. diskutieren, warum mit Dahoud ausgerechnet einer der besten auf dem Feld eine Viertelstunde vor Schluss runter musste, aber das Gladbacher Spiel litt kaum darunter.

Der Schiedsrichter vielleicht? Es gab 2 Szenen, in denen man eventuell auf Elfmeter für Borussia hätte entscheiden können, aber absolut zwingend erschienen die auch nicht und angesichts der Chancenverwertung an diesem Tag will man sich lieber gar nicht vorstellen, was Schuberts Truppe an diesem Abend mit  einem oder gar zwei Elfmeter angestellt hätte.

Man könnte die Liste fortsetzen, aber es fällt schwer einen wirklich guten Grund für die Niederlage zu finden. Vielleicht sollte man auch nicht allzu verzweifelt versuchen etwas zu begründen, für das es vielleicht gar keinen Grund gibt. Oder wie ein groβer Philosoph einst so treffend formulierte: Shit happens!

Versuchen wir das Positive zu sehen: Trotz erneuter Auswärtsniederlage bei einem Mitkonkurrenten ist die Borussia immer noch gut im Rennen um die internationalen Plätze dabei. Auch ist sie spielerisch wieder auf einem Niveau, das nur die Bayern und der BVB wirklich in dieser Liga übertreffen. Hahn und Herrmann sind zurück, Hinteregger arbeitet sich langsam ins Team hinein, die Alternativen im Kader werden immer besser. Vielleicht ergeht es dem VFL wie im Vorjahr, wo eine sehr ärgerliche Niederlage in Gelsenkirchen eine Serie startete, die uns letztendlich in die Championsleague brachte. Was auch immer die verbleibenden 7 Spiele noch bringen, keiner wird diesen Abend in der Veltins-Arena so schnell vergessen.