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Alle Jahre wieder kommt das Transferkarussell in Fahrt, wird Saisoneröffnung gefeiert und erscheint der traditionelle SEITENWAHL-Borussencheck. Diesmal geht es unter anderem um wässrigen Wein, Achterbahnen, Glücksfälle und Auffangnetze. Und alles unter dem Vorbehalt, dass auf dem Karussel noch ein paar Runden gedreht werden könnten.

 

Rückblick

 

Der Klassenerhalt frühzeitig gesichert, trotz manch unnötiger Punktverluste. Alle Leistungsträger gehalten, unter den Neuverpflichtungen ein millionenschwerer, europacuperfahrener Stürmer. Was Querelen betrifft eine Hungerkur für den Boulevard. Fast durchgehend erfreuliche Testspielergebnisse. Wer will es den Anhängern der Borussia verdenken, dass sie vor einem Jahr der neuen Saison zwar nicht überschwänglich, aber doch verhalten optimistisch entgegen sahen?

 

Auch der traditionelle SEITENWAHL-Borussencheck goss eher pflichtschuldig ein wenig Wasser der Skepsis in den Wein der Behaglichkeit: „Aber ist denn tatsächlich alles so rosig? Oder kann nach einer vergleichsweise lockeren Saison auch wieder ein Horrorjahr heraufziehen? War nicht vielleicht auch eine ordentliche Portion Glück im Spiel, bei dessen Fehlen wir wieder zum Ligazwerg geraten, oder ist das Fundament der Mannschaft so solide, dass auch unglückliche Niederlagen, Verletzungen, Fehlentscheidungen und Colabüchsen ihr nichts anhaben können?“

 

Nein, so solide war das Fundament nicht. Hinter der Borussia liegt eine Saison der Extreme, wie sie in dieser Form selbst die so bewegte Gladbacher Vereinsgeschichte selten zu bieten hatte. Ein begeisternder Coup am zweiten Spieltag. Ein beispielloser Absturz. Alles Unglück der Welt. Ein zunehmend ratloser Trainer. Ein Umsturzversuch unter medialem Gekreische. Ein sensationeller Kraftakt mit gutem Ausgang. Lange nicht gekannte Euphorie. Kein Wunder: Rechnet man den unter Lucien Favre erreichte Punkteschnitt auf eine ganze Saison hoch, kommt man auf 57 Punkte – die Bilanz eines Europacupaspiranten.

 

Rundumblick

 

Zuletzt aber ging es auf der Achterbahn der Gefühle eher wieder abwärts, zumindest wenn man die Stimmung in den einschlägigen Internetforen zum Maßstab nimmt. Auch der Architekt der Rettung warnt davor, die Leistungen der letzten Saisonendphase dauerhaft zu erwarten. Tatsächlich geschahen sie in einer psychologischen Ausnahmesituation: In der Öffentlichkeit spätestens nach der Heimniederlage gegen Kaiserslautern abgeschrieben, steigerte sich die Mannschaft in das, was Fußballer gerne „einen Lauf“ nennen. Dass man daraus keine generalisierenden Schlüsse ableiten kann, zeigte schon die sehr komplizierten Regelationsspiele, in denen sich die Borussia gegen den geschickt verteidigenden Zweitligisten sehr schwer tat.

 

Es mangelte während der Vorbereitung nicht an Stimmungsdämpfern: durchwachsene Testspielergebnisse, Querelen um wechselwillige und zum Wechsel gedrängte Spieler, eine bisweilen unglückliche Außendarstellung, Enttäuschung über die in erster Linie perspektivischen Transfers. Nicht bestritten wird von den Verantwortlichen, dass es hierüber Kontroversen zwischen Favre und Eberl gibt. Wenig überraschend, nimmt der Boulevard dies zum Anlass, um das Schreckensbild eines tiefen Zerwürfnisses zu malen. Das Druckerzeugnis, dessen Name sich nicht umsonst auf „Exzess“ reimt, hat ohnehin noch daran zu kauen, dass Max Eberl weiter auf seinem Posten sitzt.

 

Ausblick: Die Abwehr

 

Was ist nun, nüchtern betrachtet, von der Borussia in der neuen Spielzeit zu erwarten? Wahrscheinlich mehr defensive Stabilität als in der letzten Hinrunde. Zum einen kann man zwar befürchten, dass das Verletzungspech wieder zuschlagen wird. Dass das aber ein zweites Mal in dieser Häufigkeit und Intensität geschieht, werden nur die größten Pessimisten annehmen. Zum anderen darf man guter Hoffnung sein, dass das Team gegen Ausfälle besser gewappnet ist: weil es mehr personelle Alternativen gibt und weil die sorgfältige taktische Feinarbeit Lucien Favres einer zutiefst labilen Mannschaft neue Sicherheit verlieh. In der letzten Saisonendphase konnte sie dadurch auch mit Rückschlägen besser umgehen. Man vergleiche etwa, wie sie nach den beiden unberechtigten Platzverweisen in St. Pauli und Mainz reagierte, unter vergleichbaren personellen Bedingungen und beide Male nach gutem Beginn. In St. Pauli zeigte die Mannschaft danach vor allem defensiv Auflösungserscheinungen. In Mainz zeigte sie auch zu zehnt eine starke Leistung, die nur deshalb nicht belohnt wurde, weil Schiedsrichter Aytekin Reus einen klaren Elfmeter verweigerte.

 

Ein Glücksfall steht im Tor. Marc-André ter Stegen hat sich in Rekordzeit als klare Nummer Eins etabliert. Auch unter größtem Druck erwies sich der Keeper als so stabil, dass man sich das Leistungsloch, in das junge Talente nach einer Weile manchmal fallen, nicht übermäßig fürchten muss. Gleichwertigen Ersatz bietet der Kader allerdings nicht.

 

Im Abwehrzentrum bilden Dante und Stranzl ein qualitativ hochwertiges und erfahrenes Duo, während Brouwers ein für Gladbacher Verhältnisse idealer Vertreter ist. Vertretungsweise könnte Havard Nordtveit in der Innenverteidigung spielen. Sollten so viele Innenverteidiger ausfallen, dass Filip Daems wieder innen gebraucht wird, so wäre er dank der Verpflichtung Oscar Wendts auf links leichter zu ersetzen als in der letzten Saison. Zu den offenen Fragen der Saison zählt, ob Bamba Anderson die Anpassung an die höchste Spielklasse innerhalb einer stabileren Struktur besser gelingen wird.

 

Auf der rechten Außenverteidigerposition setzt Borussia auf zwei junge Talente. Ungewiss ist, ob Matthias Zimmermann weit genug ist, um bei etwaigen Formschwankungen des jungen Jantschke eine verlässliche Alternative zu bieten. Links konkurrieren mit Daems und Wendt zwei gestandene Akteure. Aktuell geht Daems mit einem Vorsprung in die Saison. Der Kapitän gefiel zuletzt durch umsichtiges Stellungsspiel, offenbarte aber auch Defizite in Sachen Schnelligkeit.

 

Sorgen kann man sich um den Spielaufbau aus der Defensive heraus machen, der oft allzu sehr von Dante abhing. Sollte der Brasilianer entgegen bisheriger Beteuerungen gar doch noch den Verein verlassen, könnte hier der Notstand ausbrechen. Mangel besteht auch so.

 

Ausblick: Das zentrale Mittelfeld

 

Das gilt umso mehr, als vor der Abwehr kein Nielsen oder Galasek spielt. Wer sich nach einem Sechser mit solchen strategischen Qualitäten sehnt, wird unter den Seitenwählern Gleichgesinnte finden. Tatsächlich klafft bei Borussia seit dem Abgang Galaseks eine Lücke. Schon in der weitgehend verletzungsfreien Saison 09/10, die Borussia auf dem 13. Platz abschloss, kassierte das Team ja die zweitmeisten Gegentore aller Bundesligisten. Ein Grund dafür lag in der oft mangelhaften taktischen Abstimmung zwischen Bradley und Marx. Solange dahinter mit Dante und Brouwers ein starkes Innenverteidigerpaar stand, das manch einen Patzer ausbügelte, und solange in Drucksituationen Thomas Kleine als zusätzliche Absicherung eingewechselt werden konnte, hielten sich die Konsequenzen zwar noch in Grenzen. In der Folgesaison aber, als Kleine den Verein verlassen hatte und Dante und Brouwers monatelang ausfielen, fehlte dieses Auffangnetz. Hätte Borussia damals im defensiven Mittelfeld einen Spieler der Qualität Galaseks gehabt, man hätte sich wohl nicht derart häufig auf die Verletzungssorgen in der Abwehr berufen müssen.

 

Besser als zwischen Marx und Bradley funktionierte die Abstimmung zwischen Havard Nordtveit und Roman Neustädter. Das neue Tandem profitierte von einem stabileren Gesamtgefüge und trug seinerseits dazu bei. Beide Spieler gefielen durch taktisch diszipliniertes Auftreten; vor allem Nordtveit leistete als bissiger Abräumer wichtige Dienste. Gleichwohl zeigten sich beide für Formschwankungen durchaus anfällig. Eine echte Verstärkung in diesem Mannschaftsteil würde Borussia deshalb und mit Blick auf den Spielaufbau gut zu Gesicht stehen.

 

Zum Zeitpunkt dieses Checks steht Michael Bradley noch bei Borussia unter Vertrag. Man sollte zwar keine größere Summen darauf wetten, dass das so bleibt. Trift allerdings weiterhin kein Angebot ein, das erstens Borussia zufriedenstellt und zweitens Bradleys hoher Meinung von sich selbst entspricht, dann müsste man den Amerikaner als halben Neuzugang verbuchen. Unter Lucien Favre hat Bradley ja noch kein Pflichtspiel absolviert. Vielleicht gelingt es dem Trainer ja tatsächlich, entweder diesem Spieler mehr taktische Disziplin zu vermitteln oder eine Struktur zu finden, in der Bradleys erratische Vorstöße besser abgesichert sind.

 

Was bietet der Kader, wenn Nordtveit oder Neustädter oder gar beide längerfristig ausfallen sollten? Neben Marx und Bradley stehen mit Matthias Zimmermann und Julian Korb zwei Nachwuchshoffnungen bereit; daneben kommt Lukas Rupp für den offensiveren Part im zentralen Mittelfeld in Frage. Auch über Filip Daems vor der Abwehr könnte man nachdenken. Gleichwohl: Wird für diesen Mannschaftsteil nur ein weiterer Perspektiv- oder Ergänzungsspieler verpflichtet, dann wäre man im Falle von Verletzungspech oder Formschwächen nicht viel besser gerüstet als letzte Saison in der Innenverteidigung.

 

Ausblick: Die offensive Außenbahnen und das Sturmzentrum

 

Lucien Favre hat angekündigt, in Zukunft eine dominantere Spielweise mit mehr Ballzirkulation anzustreben. Ansatzweise war eine Tendenz in diese Richtung schon gegen Ende der letzten Saison zu besichtigen. Abzuwarten bleibt, wie gut sich die Mannschaft auf diese Neuakzentuierung einstellen wird. Unter Michael Frontzeck zeigte die Mannschaft manch ansehnliche Konter, manchmal sogar begeisternde. Problematisch war, dass sie zu einseitig auf dieses Mittel festgelegt war. Insbesondere wenn Borussia gegen Tabellennachbarn das Spiel machen musste, fehlten dem Team oft taktische Alternativen. Wenn sich das ändert, ist das nur zu begrüßen. Andererseits ist das Stilmittel des schnellen Konters ja in gewissem Sinne identitätsstiftend für Borussia. Letztlich wird es aber sicherlich darum gehen, das Repertoire an taktischen Möglichkeiten zu erweitern, um daraus situativ flexibel wählen zu können.

 

Für eine solche flexible Spielweise braucht es gleichermaßen schnelle wie ballsichere Offensivspieler. Kaum jemand im Gladbacher Kader erfüllt beide Kriterien gleichzeitig so gut wie Marko Reus. Man kann Max Eberl nicht genug dafür rühmen, Reus trotz sportlicher Misere von einer Vertragsverlängerung überzeugt zu haben. Oft war es leidvolles Gladbacher Schicksal, Ausnahmetalente frühzeitig abgeben zu müssen. Ob Reus noch länger als ein Jahr zu halten ist, ist zwar sehr ungewiss. Zumindest für die kommende Spielzeit aber dürfen sich Borussias Anhänger über einen Spieler freuen, nach dem sich auch manch ein Spitzenclub der Liga die Finger lecken würde. Die Kehrseite: Die Gladbacher Offensive war in der Vergangenheit stark von den Geniestreichen des angehenden Nationalspielers abhängig. Man mag sich gar nicht ausmalen, was geschehen sollte, wenn Reus einmal längerfristig ausfallen sollte.

 

Zumindest kurzfristig fällt Juan Arango aus. Dass Venezuela es bei der Copa América bis ins Halbfinale schaffte, ist für den Spieler schön, für seinen Arbeitgeber weniger. Arango verpasste dadurch die komplette Vorbereitung, ob mit dauerhaften Folgen, bleibt abzuwarten. In der letzten Spielzeit zählte der Linksfuß zu den großen Gewinnern des Trainerwechsels. In fünf Rückrundenpartien unter Michael Frontzeck nur noch einmal für wenige Minuten eingesetzt, fand Arango unter Lucien Favre wieder zu früherer Stärke und wurde zu einem der Garanten der Gladbacher Rettung. Als Passgeber stand er schon früher für gehobene Bundesligaklasse. Eindrucksvoll war, wie positiv sich zuletzt seine Arbeit in der Defensive entwickelt hat.

 

Es wäre absurd zu erwarten, dass Borussia Spieler der Qualität Reus‘ oder Arangos verlustfrei ersetzen kann. Fragen kann man aber, wie groß die Lücke ist, die im Falle des Verletzungsfalles klaffen würde. Von den Alternativen der letzten Saison ist nur noch eine da: Patrick Herrmans letztes wirklich gutes Spiel aber war wohl der Heimsieg gegen Schalke 04 im Februar dieses Jahres. Seitdem scheint der Ex-Saarbrücker eher eine Durstrecke zu durchlaufen. Auch in der Vorbereitung gab es in diesem Sinne wenig zu trinken.

 

Bei den Neuzugängen für die Offensive setzte man ausschließlich auf junge Perspektivspieler. Wie glorios das gut gehen kann, hat zwar das Beispiel Reus gezeigt. Dummerweise aber haben Glücksfälle die Eigenart, nicht beliebig reproduzierbar zu sein. Wäre es anders, so hießen sie Normalfälle. Es wäre töricht, von Borussias Neuzugängen eine Entwicklung, gar eine baldige, nach Reus’schem Vorbild zu erwarten. Man sollte schon zufrieden sein, wenn sie sich schnell als ernsthafte Alternativen erweisen.

 

Nach den bisherigen Eindrücken hat Matthew Leckie dabei die Nase vorne. Der muss nun doch nicht zur U20-Weltmeisterschaft, weil Borussia der tumb planenden FIFA und dem unnachgiebigen australischen Verband widerstand und die Abstellung des Spielers verweigerte. Leckie selbst hatte zuvor die hoch unglückliche Terminierung des Juniorenturniers bedauert. Die Vorbereitung hat zumindest leise Hoffnung geweckt,
Borussia könne mit dem flinken und durchsetzungsstarken Australier einen richtig guten Fang gemacht haben. Lukas Rupp und Yuki Otsu zeigten technische Fähigkeiten und den Blick für den Mitspieler, werden sich beide aber noch an die Robustheit der Bundesliga anpassen müssen. Joshua King, dessen Ausleihe heute offiziell verkündet wurde, wird man erst nach seiner Ankunft beurteilen können.

 

Missmutig schaut man derweil nach Mainz, wo jemand als große Positivüberraschung der Vorbereitung gilt, der im letzten Jahr noch für Borussias Nachwuchs kickte: Yunus Malli war von einem Verbleib am Niederrhein nicht zu überzeugen. Mit Dennis Dowidat trainiert ein anderes Gladbacher Eigengewächs, das bereits im Profikader getestet worden war, inzwischen wieder bei der zweiten Mannschaft.

 

Vier erfahrene Stürmer beschäftigt der Verein; einem davon trauen die Verantwortlichen kaum noch Einsatzchancen zu. Mo Idrissou scheint aber wenig gewillt, den Club zu verlassen und hat natürlich alles Recht der Welt, auf Erfüllung seines gültigen Vertrags zu pochen. Raul Bobadilla wird immer wieder großes Potenzial attestiert, zuletzt von Oliver Neuville. In den bisherigen Tests allerdings zeigte der Argentinier die altbekannten Unzulänglichkeiten im Torabschluss. Ob Bobadilla seine wohl letzte Chance bei Borussia nutzen wird, ist derzeit völlig offen.

 

Zwar weist auch das Gladbacher Torkonto von Mike Hanke nur ein bescheidenes Guthaben auf, der 27-jährige aber konnte als umsichtiger Kombinationsspieler hinter einer Stoßspitze gefallen. Bleibt Igor de Camargo endlich über einen längeren Zeitraum verletzungsfrei, dann wäre die Gladbacher Stammformation im Sturm sehr ordentlich aufgestellt. In der letzten Spielzeit brachte es de Camargo zwar nur auf 19 Einsätze, schoss dabei aber sieben Tore. Das war die mit Abstand beste Quote aller Spieler im Kader.

 

Fazit

 

Alle Einschätzungen stehen unter dem Vorbehalt, dass die Transferplanungen, entgegen früherer Ankündigungen, wohl doch nicht abgeschlossen sind. Ein starker Neuzugang im zentralen Mittelfeld könnte die Qualität des Kaders entscheidend heben, ein Abgang Dantes ohne adäquaten Ersatz sie entscheidend verringern. Stand heute darf man der Mannschaft eine Saison zutrauen, die weder in so tiefe Abgründe noch auf so hohe Gipfel führt wie die letzte. Wer davon träumt, dass Borussia es Hannover 96 gleichtut und einem Fastabstieg eine Europacuprunde folgen lässt, wird darauf setzen müssen, dass Borussias Neuzugänge ähnlich einschlagen wie Ziegler, Pogatetz, Abdellaoue und Stindl das letzte Saison bei Hannover taten.

 

Ausgeschlossen ist das zwar nicht. Realistischer aber ist ein Mittelfeldplatz. Dafür, dass es nicht weiter nach unten gehen muss, sprechen Spieler der Qualität ter Stegen, Stranzl, Dante, Reus, Arango und de Camargo. Dafür sprechen Verstärkungen zumindest in der Breite des Kaders. Dafür spricht nicht zuletzt die taktische Ordnung, die der Trainer nachgewiesenermaßen dem Team vermitteln kann.

 

Sorgen macht die unterbesetzte Sechserposition. Als psychologische Hypothek könnte sich zudem der sehr schwere Saisonstart erweisen. Im ungünstigen Falle würde sich die Mannschaft nach dem Auftakt gegen Bayern, Stuttgart, Schalke und Wolfsburg gleich wieder am Tabellenende finden.

 

Seitenblick: Die Sicht der Redaktionskollegen

 

Christian Spoo:

 

Selten war ich so unschlüssig, wie vor dieser Saison, ob ich nun optimistisch oder pessimistisch nach vorne blicken soll. Optimistisch sollte stimmen, dass die Mannschaft, die in der vergangenen Saison so einen phänomenalen Endspurt hingelegt hat, (voraussichtlich) zusammenbleibt. Und wer den deutschen Meister und einen Europa League-Teilnehmer geschlagen und den Erzrivalen geradezu geputzt hat, sollte doch eine komplette Saison ohne Existenzsorgen spielen können.

 

Andererseits hat Trainer Lucien Favre selbst zu Protokoll gegeben, die Schlussphase sei eine Ausnahmesituation gewesen; jeder spielte am oberen Limit. Das wird eine Mannschaft kaum 34 Spieltage lang durchhalten können. Wie schief es laufen kann, wenn man allzu selbstverständlich davon ausgeht, dass Spieler immer und zu jeder Zeit ihre Bestleistung abliefern können, hat man erst vor Jahresfrist in Gladbach beobachten können. Und dass Borussia in der neuen Saison anders als in der alten vom Verletzungspech verschont bleibt, kann man hoffen, davon ausgehen sollte man besser nicht.

 

Also landen wir doch bei der Frage, ob das Team ausreichend ergänzt oder gar verstärkt worden ist. Zweifel sind erlaubt. Der einzige "gestandene" Spieler, Oscar Wendt, muss noch zeigen, ob er besser ist, als der auf seiner Position zunächst gesetzte Filip Daems. Alle anderen Neuzugänge bisher fallen unter die Kategorie "hoffnungsvoller Nachwuchs". Das muss nicht falsch sein, das Beispiel Marco Reus ist vielfach als Argument ins Feld geführt worden. In den Testspielen deutete der eine oder andere der neuen Jungspunde an, dass der Sprung in die erste Liga gelingen könnte - Lukas Rupp sei hier exemplarisch genannt.Sorgen macht mir nach wie vor das defensive Mittelfeld. Hier allein auf die ebenfalls jungen und auch in der vergangenen Saison nicht immer sattelfesten Nordtveit und Neustädter zu setzen, mutet an wie Gezocke. Das Gleiche gilt gegebenenfalls, falls man sich darauf verlässt, dass Michael Bradley plötzlich Tugenden wie Spieldisziplin und Teamfähigkeit für sich entdeckt. Nun ist die Transferperiode noch nicht vorbei und die Hoffnung auf einen erfahrenen "Sechser" nicht erloschen.

 

Was eine Prognose noch weiter erschweren würde, wäre eine späte Trennung von Dante. Ob und wie der Brasilianer ersetzt wird, wäre eine überlebenswichtige Frage. Zwar hätte Borussia mit Stranzl/Brouwers ein absolut erstligataugliches Innenverteidigerduo, sich daneben aber nur auf den Nachwuchs zu verlassen, geht nicht, wie jeder Borussia-Fan aus eigener Anschauung allzu gut weiß.

 

Zwei Wochen vor Saisonstart gibt es also noch jede Menge Unwägbarkeiten, demnach halte ich im Grunde genommen jeden Platz in der unteren Tabellenhälfte für möglich. Da mein Stimmungsbarometer aber gerade heute - vielleich dem bis dato ausgefallenen Sommer geschuldet - eher im unteren Bereich hängt, lege ich mich fest: Borussia landet auf Platz 14, 15 oder 16.

 

Thomas Häcki:

 

Auf der einen Seite gibt es Grund zur Skepsis. Mit Bradley und Dante stehen bei Redaktionsschluss des diesjährigen Borussenchecks zwei wechselwillige Spieler im Kader, die sich als echte Störfaktoren erweisen könnten. Mit Levels verliert man gleichzeitig eine Führungs- und Integrationsfigur. Beides zusammen könnte für eine gefährliche Atmosphäre im Kader sorgen. Gleichzeitig darf man hinterfragen, ob die Sechserposition stark genug besetzt ist. Insgesamt mangelt es dem Kader an Erfahrung. Sollte der sehr schwere Auftakt unglücklich verlaufen, kann dieses Gebilde implodieren.

Auf der anderen Seite hat Lucien Favre bei ausnahmslos jeder seiner Stationen zu Beginn einen solchen Umbruch vollzogen. Bei Hertha BSC Berlin etwa erklärte er öffentlich den halben Kader als für seine Zwecke unbrauchbar erklärt. Und überall hatte er nach einem durchschnittlichen Karenzjahr damit Erfolg.

Unter dem Strich scheint mit zwischen Platz 9 und Platz 18 alles gleichermaßen möglich.

 

Michael Heinen:

 

Allzu leicht fällt es nicht, die Chancen unserer Borussia in der kommenden Saison zu prognostizieren. Einerseits blicken wir zurück auf eine weitgehend katastrophal verlaufene Spielzeit, in der wir uns am Ende mit einigem Glück noch soeben retten konnten. Auf der anderen Seite können wir seit der Inthronisierung von Lucien Favre auf eine Bilanz verweisen, die uns hochgerechnet auf eine ganze Saison um die Europaliga-Plätze mitspielen lassen würde. Ein klarer Fall für das halb gefüllte, halb geleerte Glas, das jeder nach seinem Geschmack austrinken darf.

 

Fakt ist, dass Borussia selbst in der guten Saison-Schlussphase auf einigen Positionen unübersehbare Defizite offenbarte. Die Doppel-Sechs wurde mit Nordtveit und Neustädter zwar ausreichend, aber keinesfalls glanzvoll besetzt. Jantschke und Daems spielten auf den defensiven Außenbahnen zuletzt solide, haben aber bereits zu genüge Ansätze gezeigt, die an einer optimalen Besetzung auf diesen Positionen zweifeln lassen. Für letztere Problematik wurde mit Oscar Wendt die einzig erfahrene Kraft neu verpflichtet, die allerdings noch unter Beweis stellen muss, so viel besser zu sein als unser Kapitän. Mit Zimmermann und Rupp kamen aus der 2. Liga weitere Optionen mit Entwicklungspotential. Wie weit die Entwicklung aber bereits in der kommenden Saison vorangeschritten sein wird, ist aktuell ein schwer zu lösendes Rätsel.

 

Das größte Vakuum herrscht aber auf der Doppel-6, also auf der Position, die von vielen Experten dieser Zeit als wichtigste im modernen Fußballspiel angesehen wird. Hier wäre die Verpflichtung eines potentiellen Stamm- oder gar Führungsspielers sehr wünschenswert gewesen und es überrascht, dass der finanziell höchst klamme Nachbar aus Köln die Möglichkeit wahrnahm, einen Sascha Riether zu verzichten, während man bei Borussia offensichtlich nicht in der Lage war, einen solchen Transfer zu stemmen. Wollen wir hoffen, das die Verantwortlichen hierfür nicht ähnlich abgestraft werden wie im Vorjahr auf der unterbesetzten Innenverteidiger-Position.

 

In der Offensive steht und fällt vieles mit der Verletzungsanfälligkeit von Igor de Camargo. Wenn dieser einmal über weite Strecken der Saison verletzungsfrei bleibt, so sollte er für 10-14 Tore gut sein. Mit ihm und Marco Reus könnte Borussia über zwei Qualitätsspieler verfügen, die bereits in der Relegation nachwiesen, gegenüber anderen Mannschaften mit überschaubarer Klasse den entscheidenden Unterschied auszumachen.

 

Ob die Jungspieler Leckie und King noch zusätzlich für Belebung sorgen können, wird sich zeigen. Eine weitere Option wäre im Angriff mit Sicherheit nicht verkehrt, da die Aussichten auf ein erfolgreiches Comeback von Raul Bobadilla überschaubar sind. Nur selten gelingt einem Spieler im zweiten Anlauf der große Durchbruch, wenn es beim ersten Mal bereits so gehakt hat. Zu wünschen wäre es dem Argentinier aber, da er zweifelsohne über interessante Qualitätsansätze verfügt.

 

Insgesamt erscheint der Kader mit den genannten Offensivassen und mit der starken Stamm-Innenverteidigung ausreichend gut besetzt, um nicht wie im Vorjahr bis zum letzten Moment zittern zu müssen. Andererseits hat auch die Konkurrenz aufgerüstet. Die Mannschaften, die im Vorjahr vor uns eingetrudelt sind, werden in dieser Saison mit recht hoher Wahrscheinlichkeit nicht noch einmal so tief fallen. Auch Hertha BSC ist kein klassischer Abstiegsfavorit, wie ihn der FC Augsburg darstellt. Neben der Elf von Jos Luhukay fallen einem aber nur Namen von Mannschaften ein, die im Vorjahr noch unter den Top10 der Tabelle zu finden waren. Sicher haben Nürnberg, Freiburg, Mainz und Kaiserslautern jeweils wichtige Spieler verloren. Und sicher werden sie alle gehörig aufpassen müssen, nicht wieder vom Abstiegssog erfasst zu werden. Sie haben aber allesamt in den vergangenen Jahren aus ihren bescheidenen Mitteln das Optimum herausgeholt, während man von Borussia leider oft genug das Gegenteil behaupten musste. Die Hoffnung auf Besserung sollte man nicht allein auf Messias Favre richten, denn letztlich muss auch dieser mit den gegebenen Möglichkeiten auskommen.

 

Wägt man alle Fürs und Widers ab, so sind Träume von einer Fortsetzung der Serie zum Saisonabschluss ebenso unwahrscheinlich wie Ängste, Borussia könnte analog zum Jahr 1998 nach einer knappen Rettung im kommenden Jahr komplett einbrechen. Die Wahrheit liegt meist in der Mitte, so dass ich von einer Platzierung zwischen 10 und 14 ausgehe. Müsste ich mich festlegen, würde ich mich für Platz 12 entscheiden.