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Gut eine Stunde war gespielt im Borussiapark, als das Wort „Hand“ aus vielen tausend Kehlen erschallte, kurz darauf abgelöst von wütenden Protesten, weil die Pfeife des Schiedsrichters stumm blieb. Bereits im ersten Saisonspiel in Bochum war es zu einer ähnlichen Szene gekommen. Damals hatte Pfertzel einen Schuss, diesmal Compper eine Flanke Arangos mit hoch erhobenen Armen abgelenkt. In Bochum hätte ein Strafstoß wohl einen Sieg für die Borussia bedeutet. Ob er ihr gegen die TSG Punkte beschert hätte, ist angesichts der Dominanz des Gäste im zweiten Durchgang überaus fraglich. Dennoch lohnt die Szene genauere Betrachtung, weil sie auf ein grundsätzliches Problem verweist.


Kaum eine Fußballregel ist so unbefriedigend vage formuliert wie die, in der es um das Handspiel geht. Da nur Gedankenleser direkten Einblick in die Absicht des Spielers haben können, braucht es äußerer Indizien. Früher wurde in den Erläuterungen der Regel wie folgt präzisiert: Kein absichtliches Handspiel liege vor, wenn der Ball „aus kurzer Entfernung gegen den normal gehaltenen Arm“ geschossen werde. Bedeutete das im Umkehrschluss, dass ein Handspiel als absichtlich zu ahnden sei, wenn der Ball gegen den anormal gehaltenen Arm geschossen wurde, auch aus kurzer Entfernung? So explizit stand das nicht da. Aber wenn nein, warum wurde die „normale“ Haltung des Armes überhaupt erwähnt? Und wenn ja, was verstand man bei FIFA und DFB unter normaler und unter anormaler Armhaltung? Inzwischen findet man in den FIFA-Anweisungen nur noch den allgemeineren Hinweis, der Schiedsrichter habe bei seiner Bewertung unter anderem auf die „Position der Hand“ zu achten, ebenso darauf, ob das Zuspiel ein „unerwartetes“ sei und ob sich die Hand zum Ball bewege. Selbst das Ablenken des Balls durch einen geworfenen Schuh oder anderen Gegenstand wird als Handspiel erwähnt, ist aber von untergeordneter praktischer Bedeutung.

 

In den beiden erwähnten und vielen anderen Fällen hilft die aktuelle Fassung der Erläuterungen nur sehr begrenzt weiter, weil man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, je nachdem, welches Kriterium man betont. Sowohl Pfertzel als auch Compper konnten natürlich erkennen, wohin Arango den Ball schießen respektive flanken wollte; „unerwartet“ war das Zuspiel also nicht. Auf der anderen Seite bewegte keiner der beiden die Hand aktiv zum Ball. Das wiederum war auch gar nicht mehr nötig, denn beide hatten sich, quasi im Stile eines Handballtorwarts, mit hoch erhobenen Armen in die zu erwartende Schussbahn gestellt und so zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Ball vom eigenen Arm abgelenkt werden würde. Ist das immer noch als als zulässige „Position der Hand“ im Sinne der Erläuterungen zu werten? Wenn ja, wie hat man sich dann eine eine unzulässige Position der Hand vorzustellen?

 

Von offizieller Seite gibt man sich wenig Mühe, hier Aufklärung zu schaffen. Das von der DFB-Website herunterladbare Regelwerk ist reich bebildert. Man erfährt dort endlich, wie ein Tor aussieht. Man findet zahlreiche Illustrationen dazu, wo Spieler und Schiedsrichter beim Anstoß, bei Standards und beim Elfmeterschießen zu stehen haben. Unter Regel vier  („Ausrüstung der Spieler“) erfährt man nicht nur, dass Spieler vor der Partie allen Schmuck abzulegen haben, sondern sieht auch allerlei Fotos von Ringen und Halsketten. Das ist praktisch für alle, die vorher nicht wussten, wie Schmuck aussieht. Nur ein Beispiel für eine unzulässige Handhaltung findet man nirgendwo im Bild.

 

Wünschenswert wäre es, wenn DFB und FIFA hier zu klareren Anweisungen kommen könnten. Dabei wird es nicht sinnvoll sein, den Ermessensspielraum des Schiedsrichters völlig abzuschaffen. Wohl aber könnten die Kriterien, nach denen die Abwägung des Schiedsrichters erfolgt, transparenter gefasst werden. Ganz verschiedene Varianten sind denkbar: Man könnte das Kriterium „Position der Hand“ komplett fallen lassen und festlegen: Absichtliches Handspiel liegt dann und nur dann vor, wenn sich die Hand eines Spielers sichtbar zum Ball bewegt. In diesem Fall würden Situationen, wie im Bochum- und im Hoffenheim-Spiel grundsätzlich nicht mit Elfmeter bestraft. Oder man hält an dem Kriterium der „Position der Hand“ fest, konkretisiert aber, welche Positionen als unzulässig zu ahnden sind.

 

Welche dieser möglichen Entscheidungen man trifft, ist weniger wichtig, als dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird. Im Augenblick sind Regel und Erläuterungen so vage formuliert, dass ihre Auslegung effektiv der Willkür des einzelnen Schiedsrichters überlassen ist. Für diesen hat das durchaus Vorteile, denn je unbestimmter die Formulierung, umso weniger lässt sich auch eine Fehlentscheidung nachweisen. Für den Zuschauer dagegen ist die unklare Fassung ein Ärgernis.