„Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß!“ Dieser Andy Brehme-Klassiker gehört nicht nur wegen seiner erhabenen Wortgewalt zu den berühmtesten Fussballzitaten der Bundesligageschichte, sondern er macht auch eine von den meisten Fußballfans als tiefe Wahrheit empfundene Aussage darüber, dass Misserfolg weiteren Misserfolg bedingt. Wem diese Einsicht zu pessmistisch erscheint, sei getröstet, dass es auch ein positives Pendant gibt, welches besagt: „Wenn’s läuft, dann läuft’s“.

So banal diese Sprüche klingen mögen, so fassen sie doch gar nicht so triviale sport-psychologisiche Theorien zusammen, die sich damit beschäftigen wie Erfolg oder Misserfolg sich auf zukünftige Ereignisse auswirken. Ganz grob gesprochen ist es plausibel, dass Erfolg Selbstvertrauen erzeugt, welches dann in der Folge die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht, wohin gegen Misserfolg Verunsicherung mit sich bringt, welche dann weitere Misserfolge wahrscheinlicher macht. Häufen sich dann erst einmal die Erfolge/Misserfolge so entsteht ein sogenanntes „Momentum“, dass in seiner positiven Form mit „es läuft“ ausgedrückt werden kann und in seiner negativen Ausprägung eben die „Scheiße am Fuß“ bedeutet. Das ganze kann im Fußball sowohl einen individuellen Spieler betreffen (der Stürmer, der einfach nicht mehr trifft oder der Torwart der wochenlang keinen Gegentreffer bekommt) wie auch eine ganze Mannschaft. Im zweiten Fall entstehen dann jene Serien während derer man deutlich die Fäkalien an den unteren Extremitäten verspürt wie z.B. die vier punkt und torlosen Spiele die Borussia Mönchengladbach an den Spieltagen 20-23 dieser Bundesligasaison erleiden musste.

Solche Serien können eine Spielzeit prägen. 2006/2007 z.B. musste Borussia nach ordentlichem Saisonstart eine Negativserie 12 sieglosen Spielen mit nur 4 Unentschieden hinnehmen, die letztendlich in den Abstieg führte. Nicht ganz so schlimme Auswirkungen (zumindest nicht unmittelbar) hatte die Serie einer ganzen Hinrunde von torlosen Auswärtsspielen im Herbst 1996, die dann Bernd Krauss seinen Job kostete. Ältere Semester können sich aber auch an die Saison 74/75 erinnern als eine Serie von 17 ungeschlagenen Spielen den VFL von Platz 10 auf Meisterschaftskurs brachte, während in der jüngeren Vergangenheit 9 Siege und 3 Unentschieden in Folge Lucien Favre’s Mannen im Frühjahr 2015 in die Champions-League beförderten.

In vielen Fällen ist es aber weniger die eine Riesenserie, die eine Saison ausmacht, sondern es gibt mehrere kleine Serien. Wir erinnern uns z.B. an 2013/14 als nach mittelprächtigem Saisonstart Lucien Favres Mannen im Herbst 6 Siege in Erfolge erreichten und damit and den CL-Plätzen schnupperten, dann jedoch die nächsten 9 Spiele sieglos blieb und am Ende froh sein konnte noch Sechster zu werden. Wenn es überhaupt noch eines Beweises für Andy Brehmes Zitat gebraucht hätte, dann erinnere man sich an ter Stegens Aussetzer in Braunschweig, als die „Scheisse am Fuß“ direkt ins Spiel eingriff und bewirkte, dass der jetzige Barcelona Keeper über den Ball trat und dem späteren Absteiger den Ausgleich schenkte.

Zumindest deutsche Fußballer und Fans reden zwar selten vom Momentum sondern eher von Krisen, Strähnen, einem Lauf oder guten/schlechten Phasen, aber das ist nur Semantik;  an seiner Existenz zweifelt eigentlich niemand, wie man  in Interviews feststellt: „Im Moment klappt alles/nichts“ ist ein typischer Satz, den man dann immer wieder hört und mancher Verein baut bei einem negativem Momentum schon mal gern einen imaginären Bock auf, den es umzustoßen gilt.

Das alles betrifft natürlich andere Sportarten ganz genauso. So gibt es z.B. im Baskebtall das Phänomen der „Hot Hand“, eine Phase in der ein Spieler einfach jeden Korb versenkt oder im Baseball sogenannte „hittting streaks“: die Anzahl der Spiele in Folge in der ein Spieler einen „base hit“ (was auch immer das bedeutet) verzeichnet; den Rekord hierfür hält immer noch der legendäre Joe di Maggio, der zur Belohnung dafür auch mal ein paar Monate mit Marilyn Monroe verheiratet war.

Das Momentum ist so fest Teil der Sportmythologie, dass jeglicher Zweifel an seiner Existenz Ketzerei nahe kommt. Solch eine Blasphemie wagten jedoch 1985 die Psychologen Thomas Gilovich, Robert Vallone und Amos Tversky (letzterer bekannt für seine Zusammenarbeit mit Nobelpreisträger und Bestsellerautor Daniel Kahnemann), als sie in ihrem Artiel „The hot hand in basketball: On the misperception of random sequences“ in der Fachzeitschrift „Cognitive Psychology“  die Trefferfolgen diverser Basketballteams untesuchten und und auch ein kontrolliertes Experiment mit diversen Spielern durchführten. Das Ergebnis war, dass die Tatsache ob ein Spieler bei einem Wurf traf keinen Einfluss auf seinen Erfolg beim nächsten Wurf hatte, sondern die Folge von Treffern und Misserfolgen komplett zufällig war und die „Hot Hand“ somit nur ein Fantasieprodukt von Spielern und Zuschauern ist.

In den Folgejahren gab es diverse Untersuchungen, die in anderen Sportarten zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Roger Vernin, ein amerikanischer Dozent für Betriebswirtschaft, studierte 2000 in seinem Artkel „Winning Streaks in Sports and the Misperception of Momentum“ (erschienen im „Journal of Sport Behaviour“)  nicht nur einzelne Sportler sondern den Erfolg kompletter Baseball und Basketballteams in mehreren Spielzeiten. Auch er kam zum Schluss, dass Momentum „more myth than reality“ sei: diverse statistische Test hatten ergeben dass die Abfolge von Siegen und Niederlagen von 28 Baseball und 29 Basketballteams ziemlich genau dem entsprachen, was man zufällig erwarten würde. Natürlich gewinnen bessere Teams häufiger und schlechte seltener, aber eine gute Mannschaft gewinnt halt nicht häufiger am Stück, als man dies eben von einer guten Mannschaft erwarten würde. Der Gewinn/Verlust eines Spiels scheint keinen Einfluss auf den Ausgang des nächsten Spiels zu haben.

Baseball hin, Basketball her, vielleicht sind Daten aus einem Land, in welchem der Präsident erwägt, Lehrer mit Schusswaffen auszurüsten, nicht unbedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbar. Daher haben wir uns mal angeschaut wie es sich für die Bundesliga verhält. Wir benutzen dafür die Daten aller 43 Spielzeiten bis 2009, welche mit 18 Mannschaft stattfanden. Gäbe es ein Momentum, also würden Siege/Niederlage den Ausgang von Nachfolgepartien positiv/negativ beeinflussen würde  man eher längere Sieges oder Niederlagenserie erwarten als unter der Annahme des reinen Zufalls. Was genau würde man aber „rein zufällig“ erwarten“? Schauen wir uns als Beispiel einfach mal Borussias Resultate aus der Vorsaison an. Die Sieg-Unentschieden-Niederlagen Bilanz insgesamt betrug 12-9-13; in Heimspielen 7-5-5 und auswärts 5-4-8. Die längste Sieglos-Serie gab es im Herbst mit 8 Spielen, die längste ungeschlagen Reihe waren die ersten vier Spiele unter Dieter Hecking. Nimmt man an, dass man den genauen Spielplan nicht kennt (also nicht weiss, wann man z.B. in München spielte), sondern nur wann es Heim bzw Auswärtsspiele gab dann würde man man zufällig erwarten dass sich die 7 Siege, 5 Unentschieden und 5 Niederlagen beliebig auf die 17 Heimspiele und die 5 Siege, 4 Unentschieden und 8 Niederlagen beliebig auf die 17 Auswärtsspiele verteilen. Mit dem Computer lassen sich einfach hunderte oder gar tausende solcher zufälligen Saisonverläufe generieren, die Heim bzw. Auswärtsbilanz nicht verändern, also insgesamt zum gleichen Endergebnis führen. Bei 1000 solcher Simulationen finden wir, dass die längste Negativserie im Durchschnnitt 6.5 Spiele beträgt und in 23% der Fälle Serien auftraten die 8 Spiele oder sogar mehr betrugen. Von statistischer „Signifikanz“ würde man erst sprechen wenn dieser Prozentsatz unter 5% läge. Die durchschnittliche Positivserie liegt in den simulierten Spielzeiten mit 5.8 sogar ein ganzes Stück über dem tatsächlichem Wert von 4. Borussias Saison 2016/17 zeigt somit wenig Evidenz von aussergewöhnlich langen Serien (auch wenn sich das damals in den letzten Spielen unter Schubert schon sehr lang anfühlte).

Nun könnte diese eine Saison natürlich eine Ausnahme sein, weswegen wir uns alle 43 Spielzeiten in unserem Datensatz mit jeweils 18 Mannschaften, also 18 x 43 = 774 Saisonverläufe insgesamt, angeschaut haben. Für jeden dieser Saisonverläufe haben wir die beobachteten längsten Positiv und Negativserien notiert sowie die entsprechenden Durchschnittswerte von 1000 Simulationen für ein Team mit identischer Heim und Auswärtsbilanz. Gäbe es wirklich jenes Momentum, so müssten die beobachteten Serien typischerweise länger seien als die zufällig generierten. Die folgenden Streudiagramme zeigen für Erfolgs wie Sieglosserien die beobachtete Länge in 774 Fällen auf der y-Achse aufgetragen gegen die zufällig erwarteten Werte auf der x-Achse; die diagonal eingezeichnete Linie zeigt wo diese Werte identisch wären. Unter der Annahme eines starken Momentumeffekts, müssten die meisten Punkte oberhalb dieser Diagonalen liegen, aber was wir sehen ist, dass der Grossteil der Punkte eher um diese Gerade herumstreut, also keine besonders starke Evidenz für solch ein Momentum aufzeigt. Gröβere Abweichung zeigen allein 4 der 5 beobachten Siegesserien mit mehr als 20 ungeschlagenen Spielen.

Diese 4 Serien stammen von: 1) Eintracht Frankfurt in der Saison 76/77, die damals nach 13 Spielen auf dem 16. Platz abstiegsreif schien und dann unter Guyla Lorant  keines der verbleibenden 21 Spiele verlor und letztendlich Vierter wurde: 2) Bayern München in der Saison 88/89 als man die ersten 23 Spieltage ungeschlagen blieb, dann aber in den verbleibenden 11 Partien noch 3 mal verlor, was trotztdem locker zur Meisterschaft reichte; 3) Bayer Leverkusen, welches 97/98 vom 8. Bis zum 29. Spieltag ungeschlagen blieb, 4) Werder Bremen, das in seiner 03/04 mit 23 ungeschlagenen Spielen in Folge die Meisterschaft sicherte und es sich leisten konnte die letzten beiden Spiele abzuschenken („Bremen mit desolater Vorstellung bei Meisterfeier“ titelte der Kicker nach dem 2:6 gegen Leverkusen am 33. Spieltag). Wie man sieht, erscheinen zumindest in Fall 2 und 4 die Serien soviel länger als erwartet, weil die jeweiligen Mannschaften als sichere Meister zu Saisonende bedeutungslose Niederlagen kassierten, die in unserer Rechung die erwartete Serienlänge nach unten drücken und sind somit nicht sonderlich geeignet die Momentumtheorie zu unterstützen.

Bei den Sieglossereien ist der eine klare Ausreisser (wie immer) Tasmania Berlin, welches sein einzigen 2 Siege in der Liga am ersten und 33. Spieltag feiern durfte und zwischen durch die beeindruckende Serie mit 31 sieglosen Spielen hinlegte. Auch hier scheint die These, die Tasmania, sei im wesentlich an einem negativen Momentum gescheitert, eher gewagt.

Nun vielleicht hält das Momentum einfach nicht so lange an, als dass es lange Serien erzeugen könnte, aber zumindest auf das nächste Spiel sollte man einen Effekt erwarten können. Deswegen haben wir uns angeschaut welche Auswirkungen Sieg oder Niederlage auf das Nachfolgespiel haben. Dabei unterscheiden wir zwischen Heim und Auswärtsspielen und schauen uns für jedes Team und jede Saison an, welchen Prozentsatz der Nachfolge-Spiele  nach Sieg/Niederlage gewonnen/verloren wurden (Unentschieden lassen wir bei dieser Rechung aus).

Was als erstes auffällt ist, dass nach Heimspielen Siege seltener warden (und Niederlagen häufiger), was einfach nur daran liegt, dass das nächste Spiel meistens ein Auswärtsspiel ist. Ansonsten gibt es aber kaum Unterschiede; die Gewinn/Verlust-Quoten scheinen so gut wie nicht davon abzuhängen ob das letzte Spiel nun gewonnen oder verloren wurde.

„Ja, wie isses denn nur möglich“ höre ich jetzt so manch entgeisterten Leser fragen (und verwirrenderweise tut er das genau im Tonfall der Schauspielerin Edda Seipel als Mutter Kempowski im TV-Klassiker „Tadellöser und Wolff“) und ich muss zugeben, dass auch mich dieser Mangel an Auswirkung eines Spielausgangs auf das nächste Spiel etwas verblüfft hat. Die Antwort hat diverse Facetten. Zunächst mal gilt es grundsätzlich, dass statistische Methoden dafür geschaffen wurden, vorhandene Effekte zu entdecken und eher ungeeignet sind, die Nicht-Existenz eines Effektes zu beweisen. Das liegt daran, dass es ja immer möglich ist, dass ein Effekt besteht aber so klein ist, dass die Anzahl der Daten nicht ausreicht um ihn nachzuweisen. Insofern haben wir nicht bewiesen, dass ein Momentum nicht existiert, sondern lediglich gezeigt, dass es keinen allzu groβen Einfluss hat. Auch gibt es natürlich ein Reihe andere Faktoren, die unsere Analyse nicht berücksichtigen konnte, wie z. B. Verletzungen (oder das Ausbleiben solcher), Formschwankungen, Wetter, etc... Die meisten dieser Faktoren sind aber selber zeitlich korreliert (hat man Verletzungssorgen heute, dann vermutlich auch noch in einer Woche) und sollten daher zu längeren Serien führen als zufällig erwartet.

Der vermutlich stärkste Grund, warum uns diese Analyse so überrascht ist, die Unfähigkeit des Menschen den Zufall zu erkennen. Das menschliche Gehirn wurde über Jahrtausende evolutionär darauf trainiert Muster und Strukturen zu erkennen. Für unsere Vorfahren  war es lebenswichtig in der Lage zu sein, zwischen den Blättern, Bäumen und Sträuchern ein wildes Tier auszumachen und sich darauf vorzubereiten. Ein Fehlalarm war vielleicht ärgerlich, aber hatte wenig Konsequenzen. Und so neigen wir dazu überall Muster zu sehen, auch wenn sie gar nicht exisitieren. Bleigiessen, Rohrschachtests, Gestalten in  Wolkenformationen... es gibt viele Beispiele dafür.

Als ich Doktorand in Düsseldorf war durfte/musste ich des öfteren Statistikveranstaltungen für Biologen und Pharmazeuten betreeuen. In der ersten Stunde gaben wir den Studenten die Aufgabe, „Würfel zu spielen“, d.h. sie sollten 30 Zahlen zwischen 1 und 6 so zufällig wie möglich aufschreiben. Die meisten Studenten waren gut dabei, jede Zahl mit einigermassen gleicher Häufigkeit zu wählen (also in 1/6 = 16.7% der Fälle), aber sie wählten verblüffend selten die gleiche Zahl zweimal hintereinander. Auch das sollte durchschnittlich in 16.7% der Fälle auftreten; in den gewählten Reihen kam es aber nur in 8-10% mal vor. Offensichtlich war das zweimalige Auftreten der gleichen Zahl für die Studenten zuviel Strukur, die zufällig nicht möglich sein sollte. Man kennt das ja auch wenn man „Mensch, ärgere dich nicht“ (oder ein ähnlich verruchtes Glücksspiel) spielt und dann nach 3 Sechsen in Folge auf einmal denkt man habe eine Glückssträhne. Wer kann es uns da verdenken, dass wir nach 3 Siegen in der Liga ähnliches empfinden.

Statistisch gesprochen neigt der Mensch extrem zum „Overfitting“ (Überanpassung auf deutsch), d.h wir versuchen mehr Variabilität in unseren Beobachtungen zu erkären als nötig. Zur Illustration dieses Phänomens sehen wir im folgenden Graphen eine Punktwolke, welche die Daten von 9 Menschen zeigt, bei denen Schuhgröβe (auf der x-Achse) und Körpergröβe (y-Achse) gemessen wurden. Diese Daten sind komplett fiktiv und wurden von mir am Computer erzeugt. Der Graph links zeigt das wahre Modell unter dem die Daten erzeugt wurden: ein linearer Zusammenhang plus zufällige Streuung. Der rechte Graph zeigt ein überangepasstes Modell indem nun eine Kurve durch jeden Datenpunkt geht und somit zufällige Streeung komplett ausschliesst. In diesem Modell geht zwar die Körpergröβe auch im groben und ganzen mit der Schuhgröβe rauf, aber zwischen Schuhgröβe 9 und 9.7 gibt es aufeinmal einen Abfall von fast 10 cm.

Diese Art von Überanpassung findet  jederzeit und überall statt. Ob es die Interpretation von Wirtschaftstdaten, politischer Entwicklungen oder auch historischer Ereignisse betrifft: Sogenannte Experten sind sehr schnell bereit trotz extrem dünner Datenlage sehr detaillierte Erklärungsversuche zu liefern. Auf höchster Ebene erklärt das die meisten Religionen, die vesuchen aus einer Welt, die oft chaotisch und zufällig wirkt (und dies auch ist!) irgendwie einen Sinn zu machen, in dem irrationale Konzepte erschaffen werden, die das Unerklärbare erklären.

Und so geht es uns auch angesichts einer längeren Serie (ob positiv oder negativ); die kann nicht nur Zufall sein, sondern es muss so etwas wie ein Momentum geben, dass Niederlagen nach Niederlagen und Siege nach Siegen wahrscheinlicher macht. Wie unsere Daten andeuten, ist dies jedoch ein Irrglaube.

Für Borussiafans sollte diese Erkenntnis, dass das Momentum vermutlich nur in unsere Köpfen aber nicht real existiert, gar nicht so überraschend sein, denn mir fallen spontan 2 Beispiele der jüngeren Vergangenheit ein, die die Momentumstheorie als Unsinn entlarven: Im Herbst 2010 blieb die Borussia in 9 Spielen in Folge sieglos und suchte Woche für Woche verzweifelt einen Bock zum Umstoβen, der sich dann letztendlich in Form des Kölner Maskottchens fand, und so gewann man in der Dummstadt mit einem grandiosen 4:0. Wenn es denn ein Momentum gäbe, hätte man es wohl kaum effektiver stoppen können, aber der VFL verlor darauf die nächsten 5 Spiele bis zur Winterpause. Genau umgekehrt war es im Jahr darauf: Borussia startet mit 16 Punkten aus den ersten 7 Spielen, darunter 3 Siege in Folge and Spieltagen 5-7 bevor man (wie eigentlich immer) in Freiburg verlor und auch aus den beiden Folgepartien nur einen Punkt holte. Jegliches positives Momentum hätte damit ein für alle mal gestoppt sein müssen, aber Borussia gewann die nächsten 4 Spiele wieder.

Aber was bedeutet das für unsere Interpretation von Negativ oder Positiv-Serien, wenn es kein Momntum gibt? Das alles nur Zufall ist? Nun der Zufall spielt immer eine Rolle; selbst Bayern München wird nach den Gesetzen der Wahrscheinklichkeit irgendwann mal wieder 3 Spiele in Folge nicht gewinnen. Aber das Wegfallen eines Momentums liefert weniger eine Ausrede oder Erklärung, als dass es sie wegnimmt. Wenn der HSV jetzt hilflos dem Abstieg entgegen trudelt, liegt das halt nicht an einem bösen Fluch, der den Hamburger Jungs Spiel für Spiel neues Pech beschert, sondern eher daran, dass man einfach schlecht ist. Auch der anhaltende Frankfurter Höhenflug hat nichts damit zu tun, dass man „einen Lauf“ hat, sondern in dieser Saison schlichtweg sehr viel richtig macht.

Sowie auch die 37. Studie, die nur einen Placebo-Effekt findet, die Anhänger der Hömeopathie kaum von der Wirkungslosigkeit ihrer Lieblings-Globulis überzeugen wird, wird auch dieser Artikel den Mythos Momentum ncht aus der Fussballkultur eliminieren. Letzten Endes ist das Momentum auch nur ein Ausdruck unserer Neigung, die Dinge überzuinterpretieren, Geschichten zu erfinden, die uns die rätselhaften Auf und Abs im Fuβball verständlicher machen. Wir alle tun das, ob im Heimweg vom Stadion, auf Fanseiten, Blogs oder in Podcasts. Und haben wir dann „die Story“ gefunden, die alles halbwegs plausible macht, kommt das nächste Spiel und kippt alles  um und wir fangen wieder von vorn an. All das ist Teil dessen, was uns Spass am Fuβball macht und wir wollen das hier auch gar nicht wegverwissenschaftlichen. Andererseits schadet es aber auch nicht, sich gelegentlich bewusst zu machen, dass manche unserer Fussballweisheiten – selbst wenn sie von solch Philosophen wie Andy Brehme formuliert wurden – sich letzten Endes als Humbug erweisen können.

 (Dank an Dr. Stefan Raadts-Misegaes für die sportpsychologische Beratung beim Verfassen dieses Artikels)